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Soundgewebe aus acht Kanälen

FEMININ Von heute an bis zum Sonntag findet das 4. Heroines-of-Sound-Festival im Radialsystem statt. Sein dichtes Programm widmet sich Pioniertaten und Experimenten von Komponistinnen elektronischer Musik

von Ingo Techmeier

Das Heroines-of-Sound-Festival findet in diesem Jahr zum vierten Mal statt. An drei Tagen präsentiert es sowohl frühe Pionierinnen als auch zeitgenössische Komponistinnen elektronischer Musik. Angesichts des regen Publikumsinteresses im Vorjahr ist die Veranstaltung inzwischen kein Geheimtipp mehr.

Viele der präsentierten Künstlerinnen sind dagegen durchaus Geheimtipps – so auch Elżbieta Sikora, die dieses Jahr im Fokus steht. Zumindest in Deutschland ist die 1944 in Lwiw (Lemberg) geborene Künstlerin weitgehend unbekannt. Vielleicht auch, weil die seit 1981 in Frankreich lebende Komponistin ihren Platz zwischen den Stühlen gefunden hat: Zwar fühlt sie sich keinesfalls einer französischen Schule zugehörig, sondern polnischen Komponisten wie Szymanowski und Lutosławski verbunden. Doch in Polen erkennt man in ihren Arbeiten eine „französische Färbung“.

Von Gdańsk nach Paris

Ihre musikalische Ausbildung begann sie in Danzig mit dem Studium von Klavier und Musiktheorie, doch ihr Diplom machte sie als Toningenieurin. Anschließend studierte sie elektronische Musik bei Pierre Schaeffer und François Bayle im Studio der Groupe de recherche musicales in Paris. Eine heute legendäre Gruppe, die das komplette Studio und vor allem das Tonband mit verschiedenen auf ihm fixierten Klängen als Instrument benutzte: schneller oder langsamer abgespielt, zerschnitten und neu zusammengefügt, um die Aufnahmen auf dem Band zu manipulieren. Eine mühevolle, damals monatelange Handarbeit, doch sie öffnete völlig neue Klangwelten. Wieder in Warschau zurück wollte Sikora nicht mehr als Toningenieurin arbeiten, sondern begann Komposition zu studieren. Mit ihrer Abschlussarbeit, der Oper Ariadna, gewann sie 1978 ihren ersten Musikpreis.

Am Freitag wird sie „Flashback. Hommage à Pierre Schaef­fer“ (1996) vorstellen, das aus Fragmenten der Komposition „Prénom“ besteht, die sie 1969 in Paris zusammengestellt hat. Es ist eine Collage aus sehr unterschiedlichen Klängen, deren Herkunft (Streichinstrument, Stimme) teilweise gut zu erkennen ist, teilweise unklar bleibt.

Sikora realisierte weitere elektronische Kompositionen in Polen, bis das Jahr 1981 einen persönlichen Wendepunkt brachte: Während eines Kurzaufenthalts in Frankreich wurde von General Jaruzelski das Kriegsrecht in Polen ausgerufen. Elżbieta Sikora blieb in Frankreich, wo sie bis heute lebt. So sind auch die beiden weiteren Kompositio­nen, die heute Abend von ihr vorgestellt werden, in Frankreich entstanden.

Der Samstag beginnt mit einer Podiumsdiskussion, die sich speziell den polnischen Komponistinnen elektronischer Musik widmet. Neben Elżbieta Sikora nehmen auch Jagoda Szmytka und Katarina Glowicka teil. Auch von diesen beiden Komponistinnen wird am Freitag jeweils eine Arbeit zu hören sein.

Weltbekannt ist hingegen Electric Indigo – als DJ und Produzentin von straightem Techno ist die Wienerin Susanne Kirchmayr seit den Neunzigern eine etablierte Künstlerin. Weniger bekannt ist hingegen, dass sie abseits vom elektronischen Dancefloor auch Mehrkanalarbeiten realisiert, die der sogenannten E-Musik zuzurechnen sind. Leider findet sie für diese Werke nur schwer ein Forum, so dass das Heroines-of-Sound-Festival eine seltene Gelegenheit bietet, diese Seite ihres Schaffens zu erleben.

Diamantenschliff als Basis

Electric Indigo wird sogar eine eigens für das Festival in Auftrag gegebene 8-Kanal-Computermusik vorstellen, die auf Marcel Tolkowskys Modell für den idealen Diamantenschliff basiert („Tolkowsky’s Refraction“). Jene acht Kanäle repräsentieren offenbar die verschiedenen Facetten, die beim Schliff nach Tolkowsky entstehen. Während manche ihrer Kollegen und Kolleginnen bereits Probleme haben, das übliche Zweikanal-Stereopanorama sinnvoll zu nutzen, beeindruckte Susanne Kirchmayr bereits 2015 auf dem Festival mit dem souveränen Einsatz von sechs Kanälen. Damals arbeitete sie mit einem dichten Klanggewebe, das mittels Granularsynthese am Computer gewoben wurde. Diesmal kommen zwei weitere Kanäle hinzu. Das stellt jedoch auch Anforderungen an den eigenen Platz im Publikum; da die Musik aus acht Richtungen kommen wird, sollte man ihn möglichst mittig wählen.

Gemessen am regen Zuspruch des Vorjahres hilft frühes Erscheinen beim Sichern guter Plätze. Denn die drei Kuratorinnen Bettina Wackernagel, Mo Loschelder und Sabine Sanio haben sich ein wachsendes Publikum erarbeitet, das hungrig auf neue Klangerlebnisse ist. Während die Heroines of Sound sowohl aus dem klassischen Instrumentarium wie aus „gefundenen“ oder eigens erzeugten Klängen neue Hörerlebnisse schaffen.

Heroines-of-Sound-Festival: Radialsystem V, 7. bis 9. Juli. Das gesamte Programm unterwww.heroines-of-sound.com/programm

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