Kommentar von Patricia Hecht über die Polizeistrategie: Professionelle Eskalation
Würde ein G20-Gipfel in, sagen wir, Sankt Petersburg stattfinden, und würden noch vor Beginn des Gipfels Menschen, die beim abendlichen Bier zusammen stehen, mit Wasserwerfern auseinandergetrieben – hierzulande wäre die Hölle los.
Polizeistaat!, würden es heißen, Verletzung des Grundrechts auf Versammlungsfreiheit! Aber der Gipfel findet nicht in Sankt Petersburg statt, sondern in Hamburg. Und weil ganz klar ist, dass hier immer alles mit rechtsstaatlichen Mitteln zugeht, und weil die Polizei ja schließlich den reibungslosen Ablauf des Gipfels schützen muss – schwer genug in einer Großstadt –, ist hier eben nicht die Hölle los.
Doch die Polizei probt in Hamburg in bester Manier der Selbstermächtigung den Ausnahmezustand. Sie räumt auf Nachfrage ein, dass Straftaten vor dem Einsatz nicht vorgelegen hätten – nur Personen hätten sich auf der Fahrbahn befunden, die nach Aufforderung nicht zur Seite gegangen wären. Echt jetzt? Wasserwerfer gegen ein Straßenfest?
Verhältnismäßigkeit der Mittel ist noch so ein rechtsstaatliches Prinzip, das von der Polizei mal eben nass gemacht wird. Fast müsste man lachen über das ganze Potenzgehabe. Jetzt hat die Polizei die neuen Wasserwerfer, da muss sie sie auch ausprobieren. Jetzt ist sie schon mal mit 20.000 Männern und Frauen im Einsatz, da sollen die auch was zu tun haben. Abreaktion und Triebabbau müssen sein, wir wissen ja schon, was passiert, wenn man ihnen nichts zu tun gibt.
Was hier gezeigt wird, ist professionelle Eskalation. Sie wurde flankiert von der permanenten Gleichsetzung von Gipfelgegnern mit Gewalttätern und der ebenso permanenten Versicherung, hart gegen diese vorzugehen. Statt des „Festivals der Demokratie“, als das der Gipfel allen Ernstes von Bürgermeister Scholz angekündigt wurde, gibt es Willkommenskultur für Diktatoren und autoritäre Herrscher. Die können in den nächsten Tagen dann live besichtigen, wie Deutschland mit den demokratischen Rechten umgeht, die es bei ihnen sonst so gern anmahnt. Was bei den Demonstranten bleibt, sind Wut und Frust und Unverständnis. Wenn es dann knallt, ist klar, wer schuld ist: Es sind, wie immer, die Chaoten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen