Neuer Direktor am Wiener Burgtheater: Der konservative Visionär übernimmt
Die Wahl ist gefallen: Der Intendant des Münchner Residenztheaters, Martin Kušej, soll ab 2019 für fünf Jahre das Wiener Burgtheater leiten. In den Medien galt Kušej als Favorit. Im Kanzleramt, nur einen Steinwurf von der Bühne entfernt, trat er am Freitagmorgen gemeinsam mit dem österreichischen Kunst- und Kanzleramtsminister Thomas Drozda (SPÖ) aus einer Tapetentür vor die Presse und erntete das beifällige Nicken all jener, die mit ihrer Prognose richtig lagen.
Favorit war Kušej schon einmal. Vor gut einem Jahrzehnt wurde dann doch Matthias Hartmann Burgtheaterdirektor. Kušej ging stattdessen 2011 als Intendant ans Münchner Residenztheater. In Wien indessen überschlugen sich die Ereignisse. Ein Aufsehen erregender Finanzskandal am Burgtheater offenbarte die wackelige wirtschaftliche Grundlage des größten kontinentaleuropäischen Theaterbetriebs. Hartmann wurde entlassen, Prozesse folgten. Die derzeitige Direktorin Karin Bergmann verband ab 2014 künstlerische Konsolidierung mit einem harten Sparregiment.
Kušej, 1961 in Wolfsberg, Kärnten, geboren und Angehöriger der slowenischen Minderheit in Österreich, schien lange Zeit ein unterkühltes Verhältnis zur Kulturpolitik in seinem Heimatland zu haben. 2005, als er Schauspieldirektor bei den Salzburger Festspielen war, verhandelten Vertreter der Stadt Wien mit ihm über die Festwochen, bis er von der Verlängerung des damaligen Intendanten Luc Bondy aus der Zeitung erfuhr. Nach 2014 wurde er immer wieder mit dem Burgtheater in Verbindung gebracht. Er ließ verlauten, erst einmal solle der Schuldenberg abgetragen werden – und der Ruf aus Wien müsse schon sehr laut erfolgen.
Die Stimme des Ministers Drozda, der im Burgtheater lange Jahre als kaufmännischer Geschäftsführer tätig war, war offenbar laut genug. Kušejs Vertrag in München war noch 2015 bis 2021 verlängert worden, aber die Burg ist noch immer eine Ausnahme: „Ich kann nicht anders, ich bin halt Österreicher“, bekannte der designierte Direktor, um wenig später ebenso auf seine Identität als Kärntner Slowene hinzuweisen. In Kärnten habe niemand daran gedacht, dass er einmal hier stehen werde.
Was im Europa des 21. Jahrhundert nur noch eine Fußnote scheint, ist in Österreich eben durchaus noch ein Thema, nicht nur in der Kärntner Regionalpolitik. Historisch und von der Verfassung verbrieft war Österreich auch in seiner heutigen territorialen Ausformung immer ein mehrsprachiges Land, was auf der Ebene der kulturellen Repräsentation durchweg ausgespart bleibt. Der vollmundige Anspruch der Burg, das „erste Haus im deutschsprachigen Raum zu sein“, ist historisch eben auch das Spiegelbild des Überlegenheitsanspruchs der Deutschsprechenden im einstigen Vielvölkerstaat.
Kušej will dagegen die Vielsprachigkeit und Vielstimmigkeit der heutigen Metropole im Theater sichtbar machen. Visionäre und konservative Elemente halten sich in seinem ersten Vortrag die Waage, die Internationalisierung der Burg hat darin ebenso Platz wie das Bekenntnis zum „Schauspielertheater“ und die von ihm vorgenommene negative Konnotation des Sammelbegriffs Postdramatik.
Mittelfristig scheint sich Kušej aber schon für rauere Zeiten zu rüsten. Österreich wählt im Herbst. Die denkbare Neuauflage einer schwarz-blauen Koalition in Wien würde der „moralischen Anstalt“ Theater unverhoffte Aktualität verschaffen.
Uwe Mattheiß
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