: „Überfluss an Gewalt“
Globalisierung Weder G7 noch G20: Die Herrschaft weniger Männer werde unsere Probleme nicht lösen, sagt Vandana Shiva
Interview: Knut Henkel
taz: Frau Shiva, das G-20-Treffen in Hamburg steht unter dem Motto „Eine vernetzte Welt gestalten“. Glauben Sie, dass der Gipfel die Menschheit zusammen bringen kann?
Vandana Shiva: Ich denke nicht, dass wir diese Art von Herrschaft brauchen, für die Menschen wie Donald Trump oder Recep Erdoğan stehen. Wirkliche Demokratie bedeutet, dass gewählte Repräsentanten im Dienst der Bevölkerung handeln und es nicht nötig haben, Gewalt anzuwenden.
Sie sind im Vorfeld des G-20-Treffens nach Hamburg gereist und haben eine Rede zu „Overflow“ gehalten. Was bedeutet das?
Überfluss und Überflutung. Derzeit tritt vieles über die Ufer: Wir haben es mit einem Überfluss an Gewalt, an immer mehr Umweltverschmutzung zu tun, dem eine Konzentration von Reichtum in wenigen Händen gegenübersteht. Wir, aber auch die Natur, können Überfluss schaffen. Doch wir produzieren Plastik, statt Nahrungsmittel in Bananenblätter zu verpacken, wir verheizen seit zweihundert Jahren fossile Brennstoffe, statt regenerative Energien zu nutzen, wir trinken Coca-Cola statt Wasser, argwöhnen, dass die Fruchtbarkeit der Böden ohne Düngemittel nicht ausreichen wird. Es werden künstlich Defizite erzeugt, um Märkte zu schaffen.
Die G 20 stellen sich als Retter des globalen Finanzsystems dar. Zu Recht?
Die G 20 wurden gegründet, weil die G 7 ganz offensichtlich Teil des Problems sind. Die G 20 aber haben die strukturellen Probleme der Weltwirtschaft nicht gelöst, sondern nur weitere Länder in ein problematisches System aufgenommen. Jeder weiß, dass wir den Planeten Erde zerstören, jeder weiß von der humanitären Flüchtlingskrise. Sie geht einher mit Kriegen, fehlenden Lebensperspektiven, dem Klimawandel. Hinzu kommt die steigende Zahl Arbeitsloser, die merken, dass dieses System für sie nichts vorsieht und auch für die kommenden Generationen wenig zu bieten hat.
Die G 20 haben ihre Agenda doch ausgeweitet: Der Klimawandel gehört jetzt genauso dazu wie Migration oder die Stärkung der Frauenrechte.
Die Rio-Konferenz von 1992 war der Auftakt für Aktionen gegen den Klimawandel und in diesem Bereich haben die G 20 bisher genauso wenig getan wie für die Frauen. Diese engagieren sich schon lange für ihre Rechte und wir Frauen brauchen diese zwanzig Politiker nicht, um den Raum zu ergattern, der uns zusteht. Beim Klimawandel sind die G 20 wegen der Position Trumps ohnehin gespalten. Es gibt keinen Konsens. Wir brauchen mehr Partizipation der Gesellschaft. De facto aber sind viele Länder ohne Stimme, denn die G 20 sind nicht die Vereinten Nationen und ein zentrales Problem ist, dass die Menschen auf diesen Gipfeln eben ausgeschlossen werden und nicht gehört werden.
Angela Merkel hat im Rahmen der G-20-Präsidentschaft doch auch die Zivilgesellschaft zum Civil 20 Summit eingeladen.
Jede Regierung, die auf Alternativen zu Fremdenfeindlichkeit und Hass setzt, muss den Dialog mit der Zivilgesellschaft suchen. Das hat Angela Merkel mit Civil 20 getan. Ich hingegen werde am 5. Juli in Hamburg am Gipfel für globale Solidarität teilnehmen.
Was versprechen Sie sich davon?
Mehr Solidarität. Denn die Globalisierung hat uns kleiner gemacht, uns weiter auseinandergebracht. Diese Globalisierung der Gier war ganz im Sinne der Konzerne, es ging darum, Verfassungen zu ändern, Grenzen einzureißen, um mehr Geld zu verdienen. Wir brauchen eine Globalisierung der Solidarität, als Gegenpol zu den destruktiven Kräften, die heute über die Weltwirtschaft bestimmen.
Für destruktiv halten manche auch die Regierung Ihres Landes Indien. Die setzt auf schnelles Wachstum, fossile Brennstoffe und Umweltverschmutzung, um Armut zu bekämpfen.
Ich weiß genau, dass es nicht die Kohle war, die Wohlstand nach England brachte, sondern die Kolonisierung vieler Länder dieser Welt. Gewalt und Kolonisierung bilden die Grundlage für den Aufstieg Europas und für die Illusion, dass der weiße, christlich geprägte Mann erfolgreich sei. Der zweite Grund, weshalb ich die Wachstumsthese der indischen Regierung nicht teile, ist, dass überall dort wo ein Atomkraftwerk oder eine Kohlemine geplant ist, die Menschen protestieren. Sie wissen um die Folgen und wollen deshalb alternative Energieträger. Indien ist auch kein traditionelles Nutzerland der fossilen Energien. Im Jahr 1992 beim Gipfel in Rio hat der Premierminister darauf hingewiesen, welche Rolle das Fahrrad in Indien spielt. Das ist heute Geschichte, aber ich habe ihn damals beraten und es nie vergessen.
65, ist Wissenschaftlerin, Aktivistin und eine der bekanntesten Globalisierungskritikerinnen. Sie ist Trägerin des Alternativen Nobelpreises und Mitglied des Club of Rome.
Es bleibt die Frage, welches Recht die Schwellenländer auf Wachstum haben.
Achtzig Prozent der Produktion von Walmart stammt aus China. Soll diese Produktion dem chinesischen CO2-Fußabdruck, dem von Walmart oder dem US-amerikanischen zugeschlagen werden? Man kann keine globalisierte Weltwirtschaft haben und nationale Dienststellen gegen die Kontaminierung von Luft und Wasser einrichten. Eine auf der Nutzung fossiler Brennstoffe basierende Wirtschaft ist mit der Vertreibung und Diskriminierung von Völkern und Dorfgemeinschaften verbunden.
Warum?
Der Griff nach den Ressourcen war der Motor für die Kolonisierung und heute gibt es einen deutlich größeren Rohstoffappetit in einer Wegwerfgesellschaft. Unser ökologischer Fußabdruck wächst. Das sorgt für mehr Krieg und Gewalt weltweit. Gleichzeitig wächst der Widerstand, denn die Leute sagen immer öfter nein zum Rohstoffabbau und ja zu einem einfachen Leben im Einklang mit der Natur, wollen dass ihre Kinder friedlich aufwachsen können und dass sie nicht kriminalisiert werden. Demokratisch gewählte Regierungen sollten diese Forderungen akzeptieren.
Diese Kritik wird seit Langem erhoben und viele Konzerne beziehen sich heute auf sie. Hat das etwas geändert?
Nein. Viele Versprechungen der neoliberalen Wirtschaftspolitik wurden nicht erfüllt, so sitzen viele Bauern heute auf der Straße, weil sie ihre Lebensgrundlage verloren. Nahrungsmittel sollten mit der neoliberalen Wirtschaftsordnung billiger werden, sie sind jedoch bis zu zehnmal teurer geworden. In Indien essen die Menschen heute schlechter als früher. Die Agrarunternehmen verlieren an Produktivität. Die giftige Logik des agrarindustriellen Kartells zu wachsen, mehr Märkte zu erreichen und immer mehr Saatgut zu patentieren, ist eine Sackgasse.
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