piwik no script img

"Ich wende mich entsetzt ab"

Blühende Landschaften Unsere Seite 1 der taz vom 17./18. 6. 17 hat polarisiert – hier einige Rückmeldungen zwischen Ablehnung und Jubel

Töricht und pubertär

Ich kann nicht verstehen, warum Ihre Zeitung, deren Stimme doch so wichtig im Kontext der deutschen Presselandschaft ist, sich immer wieder mit törichten und an pubertäre Schulhofgrölereien erinnernden stilistischen Fehlleistungen selbst diskreditiert. So war es bei jenem unsäglichen Artikel nach der Wahl des Papstes (Juntakumpel löst Hitlerjungen ab) und ist es nun wieder mit dem dümmlichen Titelbild zum Tod Helmut Kohls. Das Schlimme daran ist nicht, dass man sich stilistisch mal vertut, sondern es ist die anscheinend dahinter stehende Attitüde, zwar in dem Duktus Ihrer Berichterstattung und Kommentare die Würde der Menschen zu verteidigen, sie aber da, wo Leute Ihnen nicht liegen, deren Würde lustvoll zu verletzen. Sie würden das verlogen nennen.

KARL-JOSEF SCHMIDT, Frankfurt am Main

Wie früher

Habe jetzt mein Taz-Abo nach Ihrem geschmacklosen Titelblatt zum Tode Helmut Kohls gekündigt – es atmet nach all der Zeit immer noch den (zutiefst pubertären) menschenverachtenden „klammheimlich“ sich über den Tod des politischen Gegners freuenden Geist der bleiernen Jahre. MICHAEL BARFUSS, Bonn

Geschmacklos

Es ist bezeichnend, dass die Linke nicht einmal vor einem Toten Achtung hat. Menschen ohne Fehler gibt es nicht, auch nicht bei den Linken. Kohl hat uns Ostdeutschen die deutsche Einheit gebracht. Das ist eine Leistung, die alles, was nach 1945 passiert ist, in den Schatten stellt. Das ärgert Sie, wie ich vermute, und in diesem Kontext sehe ich Ihre Titelseite. Kleingeister erkennen die Leistung ihrer Gegner nicht an. Das sagt mehr als Ihre geschmacklose Titelseite!

ANDREAS IRMSCHER, Rudolstadt

Orchideenwiesen

Ich bin fünf und glaube, „Kanzler“ ist ein Vorname. Meine beste Freundin Julia weiß immer Bescheid. Kann klettern und weiß, wo man die Füße hinsetzen muss, um nicht abzurutschen. Hat weiße Zähne und niemals Angst. Ich habe zwei lange braune Zöpfe und bin ein Hasenherz. „Der Kanzler Kohl“, sagt sie. So fängt das an. Heute fahren wir mit dem Rad durch das Leipziger Neuseenland. Und da geht mir auf, was die Birne, die heute nicht mehr Helmut Kohl ist, weil tot, was dieser Mann damals gemeint hat. Blühende Landschaften. Vielleicht ein blindes Wahlversprechen. Vielleicht ein lichter Moment. Damals und für lange Zeit: Wortgeklingel, zumindest für mich. Heute: Orchideenwiesen am Mondsee und Deutschlands am schnellsten wachsende Großstadt. Und für mich persönlich: Wachstumsschmerzen, irgendwie. Hatte die Birne recht? (Darf er recht gehabt haben, als Konservativer, als Birne, als Kohl?) Immerhin ist Weißenfels in Sachsen-Anhalt immer noch deprimierend. Aber trotzdem. Der Grabschmuck war daneben, und wenn ich heute Abend kein Bier trinken gegangen wäre, ich hätte euch früher die Meinung gegeigt. Jetzt kommt das alles vielleicht verspätet, weil online alles so schnell geht. Damals, als ich noch gern schrieb, hätte ich nur für euch schrei­ben wollen. Und heute tut es weh, das mit der Birne und dem Grab. (Und es tut weh, dass es weh tut!) Ich werde erwachsen, und Ihr? Im September ist Wahl, und ich weiß nicht, wen ich wählen soll. Meine Locken sind jetzt übrigens rappelkurz. KRISTINA RATH, Berlin

Mehr zu erreichen

Helmut Kohl, verschieden am 16. Juni 2017, den Angehörigen und Verehrern um Helmut Kohl mein Beileid. Anfang zwanzig war ich, als Helmut Kohl das erste Mal Kanzler wurde. Die achtziger und neunziger Jahre wurden durch seine ausgerufene „geistig-moralische“ Wende bestimmt. Dreißig Jahre zählte ich, als Helmut Kohl sich sein eigenes Denkmal zimmern ließ – mit dem Feiertag am 3. Oktober. Infolge der Abwahl Helmut Kohls 1998 kam man 1999 zur ewigen Rente, ich dachte, das Grundgesetz garantiere seinen Schutz. Ich bin der festen Überzeugung, dass noch mehr zu erreichen gewesen wäre, mit der gesprächsbereiten Sowjetunion. Helmut Kohl hatte es aber sehr eilig nach dem Mauerfall, mit der Wiedervereinigung der beiden Deutschlands in die geschichtliche Unsterblichkeit einzugehen : erster Bundeskanzler des wiedervereinigten Deutschlands zu werden. Dieser Feiertag im Oktober wird daher immer auch mit dem Namen von Helmut Kohl verbunden bleiben. Zur Freude der Anhänger und Gemeinde von Helmut Kohl. Aber auch zu mancherlei Ärger, denn der Mauerfall am 9. November, war ein parteipolitisch unabhängiger Vorgang gewesen. Würde sich daher viel eher als Feiertag eignen.

STEFAN VOLLMERSHAUSEN, Dreieich

Pietätlos

Der Vorgang zeugt weder von Fingerspitzengefühl noch Respekt, Toleranz oder Pietät. Von Größe schon gar nicht, eher vom Gegenteil und von fehlender Empathie für die Angehörigen. Das Blatt zeigt sich wieder einmal von seiner bigotten Seite. Ich wende mich als jemand, der über 25 Jahre in der Bundeszentrale für politische Bildung arbeitete, entsetzt ab. Mit seriösem oder gar frechem Journalismus hat dieses als Nachtreten auf einen Toten empfundene Titelblatt nichts zu tun. Grenzenloser Hass und Hetze kamen bisher eher von rechts außen. Wie wird man denn reagieren, wenn die Junge Freiheit beim Tod von Christian Ströbele dereinst ein analoges Titelblatt wählen würde und der Chefredakteur dies anschließend nach Protesten vieler Leser be­dauert?

LOTHAR G. KOPP, Berlin

Brüllend komisch

Ich fand das Titelblatt mit den blühenden Landschaften anlässlich des Versterbens von Altkanzler Kohl brüllend komisch und sehr gelungen. Es mag zwar nicht pietätvoll gewesen sein, aber das Titelbild bringt schön zum Ausdruck, dass dieser bekannte Verschweiger und Gedächtnislücken-Machtmensch mit seiner notorischen Bräsigkeit und Phrasendrescherei eben auch eine politische Witzfigur war, die eine ironisch-kritische Würdigung auch posthum herausfordert. Das Beste, was man über Herrn Dr. Kohl sagen kann, ist, dass er ein überzeugter Europäer war. Das rechne ich ihm hoch an. Ansonsten hat er meine Jugend und Früherwachsenenzeit mit seiner bleiernen, konservativen Saumagenästhetik geprägt. Also: War schon o. k. mit dem Bild. Die Verklärung des Oggersheimers durch die Kohlfans in den restlichen Medien muss ich ja auch ertragen. Die ist mindestens genauso anstößig wie der TAZ-Titelbildhumor. CORD WISCHHÖFER, Berlin

Vielen Dank!

Vielen Dank für dieses Titelbild! Das Hamburger Abendblatt macht miese Stimmung gegen euch, so wie bestimmt auch noch viele andere Blätter. Lasst euch nicht einschüchtern. Bleibt, wie ihr seid, Angepasste haben wir mehr als genug. Warum sollen wir bei Toten nur noch über deren gute Taten reden? Wie sollen wir so aus der Geschichte lernen? BERND WITTMANN, Hamburg

Brillant

Auch wenn ich kein Fan der TAZ bin, die „blühenden Landschaften“ waren eine brillante Idee. Was im Rest der Republik an Nachrufen verfasst wird, ist an Heuchelei und Geschichtsklitterung kaum zu ertragen. THOMAS PLAGENS, Berlin

Genial

Nun haben Sie einmal einen richtig guten Titel und dann entschuldigen Sie sich dafür? „Blühende Landschaften“ mit dem dazugehörigen Bild – genial! Damit haben sie sogar das von mir geschätzte Satiremagazin Titanic übertroffen. Respekt. Haltung zeigen heißt bitte aber auch nicht einknicken! Mit diesem Titel haben Sie mich als neuen Leser gewonnen und eventuell auch als neuen Genossen, ich erwarte sehnsüchtig die Infobroschüre. CHRISTIAN SCHEEFF, Mühlheim

Entschuldigung? – Liebermann Nr. 1

Eine schöne satirische Leistung, dieses Bild. Sie können sich nicht vorstellen, wie ich mir derartige Bilder in den Achtzigern und Neunzigern gewünscht habe. Aber warum entschuldigen Sie sich? Hat sich dieser Herr denn jemals für den sozialpolitischen Kahlschlag, den er verbrochen hat, entschuldigt? Auf das momentane Trauergebrabbel samt Bombast hätte Gulbransson wohl gesagt: „Ich könnte gar nicht soviel fressen, wie ich kotzen möchte.“ KLAUS STENDER, Bonn

Unterirdisch – Liebermann Nr. 2

Egal welcher politischen Couleur man anhängt. Ihr Titelbild zu Helmut Kohls Dahinscheiden ist so unterirdisch, dass mir dazu nur der Satz von Max Liebermann einfällt: „Ich kann gar nicht so viel essen, wie ich kotzen möchte.“

MARC GÜNTHER, Frankfurt am Main

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen