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Her mit La Guggenheim!

KUNSTLADY Ein Bildband von Stefan Moses über die berühmteste Kunstsammlerin der Welt, Peggy Guggenheim

Manchmal auf ihrem Thron, manchmal auf der Hollywoodschaukel in Venedig: Peggy Guggenheim Foto: Stefan Moses/VG Bild-Kunst

von Katharina J. Cichosch

Endlich sei es so weit, kündigt verheißungsvoll der Verlag seine „Begegnungen mit Peggy Guggenheim“ an. Und bevor man überhaupt die Frage stellen kann, wieso ausgerechnet jetzt dieses Buch über die legendärste Kunstsammlerin der Welt erscheint, mit Fotos, die Fotograf Stefan Moses bereits Ende der sechziger und Mitte der siebziger Jahre geschossen hat, zeigt das „endlich“ seine Wirkung: Ist eigentlich egal, her mit Peggy Guggenheim!

Die später Weltberühmte kommt 1898 auf die Welt, rasant, wie ihr gesamtes Leben verlaufen soll, das man in der nach ihrer New Yorker Galerie benannten Autobiografie „Out of this Century“ nachlesen kann und ruhig sollte: Den Mythos der unbeschwerten Kindheit als jüdisches Mädchen aus den wohlhabendsten Häusern opfert sie gleich zu Beginn. Ihr Vater stirbt auf der „Titanic“, als sie dreizehn ist.

Der Röntgenblick gilt Peggy Guggenheim ebenso wie ihrer Welt, und ihre Beobachtungen sind großartig wie grausam, lustig und bisweilen brutal wahrhaftig: Das ambigue Spiel mit der verdammten Jungfräulichkeit. Die Scham, die sie nach der Geburt ihres ersten Sohnes empfindet: Dass sie so lange dieses männliche Wesen in ihrem Innern getragen hat! Ihre finanzielle Potenz gegenüber deutlich ärmeren Liebhabern und Begleitern, die sie in geeigneten Moment gern ausspielt. Und ihren Ehemann Max Ernst, den großen Maler, bezeichnet sie als Charakter wie geradewegs aus dem Alten Testament entstiegen – wie er sie „gewaltvoll verprügelt“ und Guggenheim in anderen Momenten rasend vor Eifersucht ebenso zuschlägt, wirkt über den Schockmoment hinaus als präzise Beobachtung jener sadomasochistischen Affekte, die so vielem Zwischenmenschlichen innewohnen, aber andernorts hübsch zivil kanalisiert werden.

Fiebrig, pulsierend und ohne Angst vor der großen Geste bahnt sich La Guggenheim nicht den Weg durch die Welt, sondern lässt sich von jener den Boden bereiten. Natürlich war ihr Haus der „coolste Ort in New York City“! Partys feiern und Ausstellungen eröffnen mit Max Ernst oder Pollock oder Duchamp oder Beckett – und André Breton hat auch noch seinen psychoanalytisch geschulten Lebensrat anzumerken: Stellenweise geriert das Buch zur rasanten Artfucker-Soap, die von der Soap unterscheidet, dass die Protagonisten hier wirklich interessieren.

Vergnügen allein reicht nicht aus

Das gefällt allerdings nicht jedem, was zu einigen schönen Verrissen führt. Zum Beispiel auf der Seite eines großen amerikanischen Onlinekaufhauses: „Zu viele Männer in ihrem Leben“, kritisiert eine Leserin dort. Schlecht geschrieben sei das Buch und langweilig sowieso. Tiefer blicken lassen die enttäuschten Versuche, Peggy Guggenheim ihre Kunstsinnigkeit gerade wegen ihres rauschenden Lebens abzusprechen: „Sie ist nicht die richtige für den Job“, heißt es da, am Ende gibt’s immerhin noch generöse Anerkennung „fürs Gründen des MoMa“ (mit der sie nun ausnahmsweise nichts zu tun hat).

Das ist das Wichtigste für den Bildungsbürger oder jenen, der gern einer wäre: Dass alles aus irgendwie gutem Grund geschieht. Vergnügen allein reicht da nicht aus. Und ein Bilderkanon an die Hand wäre vielleicht auch nicht verkehrt. In diesem Fazit gehen die zitierten Onlinerezensenten ganz d’accord mit Katharine Kuh, deren Kritik über die 1979 erschienene Autobiografie Peggy Guggenheim einer späteren Edition nachträglich hinzufügte. Doch auch Wohlwollendes von Everett McManus ist hier zu lesen, der „Out of this Century“ analog zu Flauberts „Madame Bovary“ vor allem als Geschichte einer modernen Frau versteht – die deshalb auch nicht als Kunstexpertin, sondern vor allem als sie selbst auftritt. Wer davon abgesehen tatsächlich keine Kunst im Buch finden kann, der muss schon mit Scheuklappen gewappnet sein: Vom knietiefen Minus nach einer Galerie-Gründung über ihre fiebrige Begeisterung für einzelne Werke bis hin zu abgefahrenen Ausstellungsarchitekturen skizziert Guggenheim eine Ära von gleichzeitiger Experimentierfreude und Sorglosigkeit, an die heute kaum noch zu denken wäre.

In den Serienfotografien kommt Stefan Moses der Persönlichkeit Peggy Guggenheims sehr nah

Einige Jahrzehnte später sitzt sie auf ihrem Thron, manchmal auf dem Sofa oder der Hollywoodschaukel, in der neuen Wahlheimat Venedig. Extravagante Skulpturen-Sonnenbrille, weiße Lederstiefel, kurze Silberlocken, um sich herum ein ­Rudel Lhasa-Terrier. Stefan Moses ist bei ihr zu Besuch: Der deutsche Fotograf porträtiert 1969 und 1974 die dato bekannteste Kunstsammlerin, und Mäzenin.

„Begegnungen mit Peggy Guggenheim“ ist formal die 180-Grad-Variation zur Autobiografie: Während einen die Protagonistin dort geradewegs in ihr Leben hineinschleudert, funktioniert Moses’Annäherung im wörtlichen Sinne gemächlich. Auf mehreren Seiten fährt der Blick über den Canal Grande hinweg auf den Palazzo Venier dei Leoni, kommt näher heran, bis die Hausdame ausgelassen winkend im roten Cape auf der Terrasse erscheint. Von hier aus begleitet Moses Peggy Guggenheim in ihrem Zuhause, widmet sich der beneidenswerten Bildersammlung nebst ebenso stilsicherer Einrichtung und dem Alltag: Er ist dabei, wenn sie sich in der eigenen Galerie wie einst in New York City hinters Klapptischchen setzt oder Ketch­up zum frisch servierten Mittagessen genießt oder ihr Malernachbar Bilder zur Begutachtung vorbeibringt. Oder wenn sie mit ihren Hunden Gondola fährt und dabei mal fröhlich, mal ernst, mal unfreiwillig lustig ausschaut.

Moses’Fotografien folgen oft dem Prinzip der Serie. Aus diesem Überunternebeneinander kristallisiert sich parallel zur Autobiografie vielleicht ein Moment, das der Persönlichkeit Peggy Guggenheims näher kommt als jede einzelne Darstellung der exzentrischen Kunst-Lady, wie sie gern und sicher nicht unfreiwillig porträtiert wurde. Ebenfalls im Buch befinden sich Motive aus Guggenheims privaten Fotoalben – Moses durfte großzügig auswählen und abfotografieren. Porträts stellt er zu Collagen zusammen, die ihr Leben quasi im Schnelldurchlauf zeigen.

Sie selbst hasste das Alter. Zu schnell, natürlich: Verdammt, wo wäre Peggy Guggenheim heute im stellenweise ach so öden Superkunstjahr? Man hätte sie gern einmal angesprochen hinter ihrem Klapptischchen, in New York oder Venedig. Wer einen guten Anlass für die parasoziale Anhimmlung sucht: Diese beiden Bücher, in Kombination, sind schon mal ein guter Anfang.

„Out of this Century – The Autobiography of Peggy Guggenheim“ (Englisch), Carlton Books, 12,99 Euro

Stefan Moses: „Begegnungen mit Peggy Guggenheim“. ­Elisabeth Sandmann Verlag, Mai 2017, 48 Euro

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