Auf der Insel des Uneigentlichen

Theater Lutz Seilers Roman „Kruso“ wurde in Leipzig zu einem starken Theaterabend, wie man jetzt bei den Autorentheatertagen im DT sehen konnte. Eine entspannte Wiederbegegnung mit Armin Petras

Kruso redet viel, hastig, bringt seine Worte dem Freund als Geschenk

Zum Theatertreffen war vom Schauspiel Leipzig „89/90“ eingeladen, eine sehr gelungene, oft gesungene Bearbeitung des Romans von Peter Richter durch die Regisseurin Claudia Bauer. Bei den Autorentheatertagen des Deutschen Theaters folgte jetzt, ebenfalls aus Leipzig, „Kruso“ nach dem Roman von Lutz Seiler, von Armin Petras inszeniert. Da kann man jetzt in Bewunderung ausbrechen, welch starke Stücke dem Schauspiel Leipzig im Blick auf das Ende der DDR gelungen sind.

Eine Aussichtsterrasse an der Steilküste, auf der Insel Hiddensee, der Blick geht über das Meer nach Dänemark: Sie bildet in „Kruso“ den einen Fluchtpunkt für die Systemmüden, die Skeptiker, die Fluchtwilligen, die Verweigerer, deshalb stets von Misstrauen und von Grenztruppen bewacht. Der andere Fluchtpunkt aber findet sich in der Sprache selbst, in einer märchenhaften Umdeutung der Gegenwart, in skurriler Übertreibung des eigenen Außenseitertums. Die Dichter, Philosophen und Studenten, die hier Unterschlupf in der gastronomischen Branche finden, performen diese Jobs mit Begeisterung wie eine Karikatur der DDR-Betriebsferienheime.

Dieses Leben im Uneigentlichen, diese stete Tarnung des hartnäckigen Individuellen ist für die Inszenierung von Armin Petras eine starke Vorlage. Für Petras ist die Schnittstelle Ost/West gewissermaßen sein Lieblingsort, hier sind ihm viele Bühnenerzählungen nach eigenen Texten und nach Romanen gelungen. In „Kruso“ hält er sich nah am Text, natürlich auf einige Passagen verkürzt, die aber gut funktionieren, atmosphärisch präzise sind und spannend zusammengesetzt. Man ist sofort bei Ed, dem auf Hiddensee gestrandeten Studenten, der aufgefangen wird von Kruso, einem schüchternen und zarten Freund. Spülhilfe sind sie beide.

Kruso wird gespielt von Anja Schneider, immer ein wenig geduckt und gedeckelt, hastig und eifrig in ihren Sätzen. Die Bühnenerzählung beschleunigt und wechselt von der dritten in die erste Person, wenn Kruso redet, und Kruso erzählt viel. Nicht, weil es ihm leicht fällt, nicht, weil er ein Wortführer unter den Verweigerern wäre, sondern weil er seine Geschichten Ed, dem Traurigen, zum Geschenk bringt, ihn umwirbt, ihm zeigen will, wie man hier lebt.

So entsteht diese Freundschaft mitreißend und mitreißend komisch auf der Bühne. Ihre Insel ist wie ein aus der Zeit gefallener Ort, was die manchmal märchenhafte Spielweise, in der junge Schauspieler und Tänzer auch das bewegte Meer und die Landschaft tanzen, verstärkt. Ein Wald aus senkrecht gespannten Gummiseilen macht die Insel und das Ferienrestaurant zu einem zugleich versperrten und labyrinthischen Ort, der zudem ausdrucksvollen Körpernbildern viele Möglichkeiten bietet. Tatsächlich leistet ein kleiner Chor von Aus­drucks­tänzern hier viel, um die Ebenen von Handlung, Wahrnehmung und Gefühlen geschickt zu verflechten.

Diese schöne Wiederbegegnung mit Armin Petras, der hier einige Jahre das Gorki-Theater leitete, tat gut. Vielleicht ist er als Regisseur entspannter dort, wo er nicht zugleich Intendant ist.

Katrin Bettina Müller