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Die „Reibungslosigkeit“ unterbrechen

GEWALT Mutmaßlich Autonome legen mit einem Dutzend Kabelbränden bundesweit den Bahnverkehr teils lahm – als Zeichen gegen den G-20-Gipfel. Die Sicherheitsbehörden hatte solche Attacken befürchtet

Aus Berlin Konrad Litschko

Die Sorgen der Sicherheitsbehörden vor dem G-20-Gipfel Anfang Juli in Hamburg werden größer. In der Nacht zu Montag verübten offenbar Autonome eine militante Großaktion vor dem Treffen der Regierungschefs. In mehreren Bundesländern beeinträchtigten sie mit Brandsätzen über Stunden den Bahnverkehr. In einem Bekennerschreiben wurde dies als Aktion gegen den G-20-Gipfel ausgegeben.

Die ersten Brandsätze entdeckten Bahnmitarbeiter am Montag um ein Uhr nachts. Kabelschächte neben den Bahnschienen waren abgedeckt, Rauchschwaden stiegen empor. Darin: schmorende Brandsätze. Gleich vier davon fand die Polizei in Leipzig. Auch in Berlin, Hamburg, Dortmund, Köln, Bremen und Bad Bevensen zündeten Brandsätze. Der Bahnverkehr in den Städten war darauf über Stunden stark eingeschränkt. Züge mussten umgeleitet und Ersatzbusse eingerichtet werden, Reisende sich mit langenden Wartezeiten arrangieren.

Am Vormittag tauchte auf einem linken Internetportal dann ein Bekennerschreiben auf. Man habe anlässlich des G-20-Gipfels für eine „kurze Unterbrechung der Reibungslosigkeit“ gesorgt, heißt es dort. „Heute Morgen haben wir die Kabelstränge entlang mehrerer Hauptstrecken der Bahn in Brand gesetzt.“ Das Ziel: „Wir greifen ein in eines der zentralen Nervensysteme des Kapitalismus: mehrere zehntausend Kilometer Bahnstrecke“. Dem G-20-Gipfel gehe es um „Stabilität der Weltwirtschaft“ und die „Erschließung neuer Verwertungsmöglichkeiten, neuer Märkte, neuer Arbeitskräfte“. Das Schreiben endet: „Wir zeigen auf, wie es möglich ist, die Maschine zum Stottern zu bringen.“ Dann folgt die Losung: „Shutdown G 20 – Hamburg vom Netz nehmen“.

Ob das Bekenntnis echt ist, blieb vorerst unklar. Täterwissen wird darin nicht offenbart. Die Polizei prüfte die Authentizität. Sehr vieles spreche dafür, hieß es in Sicherheitskreisen. Angriffe auf die Infrastruktur fügten sich in die linksextreme Mobilisierung vor dem G-20-Gipfel ein und gehörten inzwischen zum „gängigen Muster“. Die Länder ließen ihre Staatsschützer ermitteln. Nach taz-Informationen prüft die Bundesanwaltschaft derzeit, ob sie die Fälle an sich zieht.

Autonome hatten bereits angekündigt, den G-20-Gipfel am 7. und 8. Juli auch mit militanten Aktionen zum „Desaster“ machen zu wollen. Mehr als 240 Straftaten mit Bezug zu dem Treffen zählte die Polizei bisher, darunter angezündete Polizeifahrzeuge oder ein Brandanschlag auf die Hamburger Messehallen.

Die Gegner wollen erreichen, dass es „nie wieder einen Gipfel in einer ­europäischen ­Großstadt“ gibt

Brandanschläge auf Bahnanlagen sind in der Szene nicht neu – wohl aber die Koordination über so viele Bundesländer. Schon im Mai 2011 bekannten sich Autonome zu einem ­Kabelbrand am Berliner Bahnhof Ostkreuz, der als eine Aktion gegen die deutsche Atompolitik gedacht war. In den Folgejahren kam es zu ­weiteren Anschlägen und Bekenntnissen. In der Szene sind diese durchaus umstritten. Die Anschläge seien nicht vermittelbar, träfen die Normalbevölkerung und würden letztlich massive Strafverfolgung auslösen, lautet die Kritik.

Die Polizei Hamburg hatte intern schon vor Wochen auch mit Angriffen auf Infrastruktur zum G-20-Gipfel gerechnet. Von möglicher Sabotage von Funkmasten, Angriffen auf die Stromversorgung oder der Manipulation von Ampeln war in einem Lagebericht die Rede.

Zum Gipfel selbst erwartet die Polizei bis zu 10.000 militante Autonome, auch aus dem Ausland. Die Protestler selbst kündigen „einen der größten schwarzen Blöcke, den es in Europa jemals gegeben hat“ an. Man wolle erreichen, dass es „nie wieder einen Gipfel in einer europäischen Großstadt“ gibt. Die Polizei will mit einem Großaufgebot von rund 20.000 Beamten und einem weitgehenden Demoverbot für die Innenstadt dagegenhalten.

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