Um die Ecke klingt es anders

Musik Ägypten, Pakistan, Bahrain und Mali: Das Torstraßen Festival gibt von Donnerstag bis Sonntag wieder Acts aus der ganzen Welt eine Bühne – mitten in Berlin

Das Festival ist lokal verwurzelt, das Line-up eklektizistisch und international

von Stephanie Grimm

Musik und Straßenfest: Bei dieser Kombination zuckt der feinsinnige Musikfreund leicht zusammen. Schließlich ist das, was man auf diesen Veranstaltungen zwischen Fressbuden, Caipis und Ethnoschmuck zu hören bekommt – nun ja: eher gut gemeint als wirklich gut.

Im Fall des Torstraßen Festivals, das ab Donnerstag stattfindet, ist das ganz anders. Zum einen ist es kein Straßenfest im eigentlichen Sinn. Am Samstag, dem zentralen Tag, finden auf vielen kleinen Bühnen Konzerte statt. 2011, als das Festival zum ersten Mal stattfand, war der Name mit Ortsbezug zugleich eine Ansage. Das Thema Gentrifizierung brodelte in Mitte, subkulturelle Orte waren umkämpft. „Wir hatten auch einen stadtpolitischen Anspruch“, erzählen die Organisatoren Andrea Goetzke und Norman Palm beim Interview. Kleine Clubs kämpften ums Überleben. Mittlerweile sei etwas Ruhe eingekehrt – wohl auch, weil der Stadtteil in weiten Teilen gentrifiziert ist. Immerhin ist der Schokoladen gerettet, das Acud gerelauncht, aktuell keine der Festival-Spielstätten bedroht. Trotzdem ist den Veranstaltern wichtig zu zeigen: „Es gibt sie noch, die Subkultur in Mitte“.

Vor allem aber geht es beim Torstraßenfest natürlich um die Musik. Besonders wichtig ist Goetzke und Palm, dass man hier Künstler entdecken kann, die man bisher nicht auf dem Schirm hatte – und die nicht alle Tage in der Stadt spielen. Das ist eine weitere Besonderheit des Festivals: Es ist lokal verwurzelt, das Line-up aber ist eklektizistisch und international.

Zusammen mit der aus Chicago stammenden Melissa Perales, die seit zwanzig Jahren das Booking für den Schokoladen macht, und dem Kanadier Kevin Halpin basteln Goetke und Palm an einem so kurzweiligen wie erschwinglichen Programm. „Wir halten einfach die Augen auf. Leute, die sowieso in der Nähe sind, versuchen wir, zu uns zu holen“ erklärt Goetzke und Palm fügt dazu: „Wir wollen Künstler vorstellen, die uns ganz nah sind. Und zugleich Sachen präsentieren, die ganz weit weg sind. Aber eben nicht unbedingt den heißen Scheiß, der gerade aus London herüberschwappt.“

Tatsächlich findet diesmal besonders viel weite Welt den Weg nach Mitte. Erstmals startet das Festival in diesem Jahr bereits am Donnerstag mit dem Abend „Kairo is Koming“. Dort wird ein Künstlerkollektiv aus Ägypten auftreten, fünf Elektronikkünstler diskutieren und spielen im Roten Salon, unterstützt vom Goethe-Institut. Ebenfalls Experimentelles aus der muslimischen Welt präsentiert der von den Gebrüdern Teichmann initiierte Noland Label Showcase, bei dem die avantgardistische Gitarristin Ramska Shakell Kompositionen zwischen komplexer Rhythmik und Ambient vorstellt. Bei der gleichen Veranstaltung bringt der aus Pakistan stammende Undergroundmusiker Danny P. als Alien Panda Jury asiatische Rhythmen mit Shoegazing-Elementen zusammen.

Zugleich bildet das mit viel Herzblut zusammengestellte Programm die Expat-Szene der Stadt ab: zum Beispiel das Duo FFX aus Ljubljana, das neben seiner eigenen Foto-Love-Story, die sie über Instagram in die Welt setzen, bassige Elektronik produziert. Oder die synthiepop­affinen Songwriter von Itaca, die ein Herz für italienischen Schlager haben und gerne das Schmachtpotenzial ihrer Muttersprache ausnutzen. Auch dabei ist die immer wieder fantastische Mary Ocher, die parallel zu dem programmatisch betitelten Album „The West against the people“ einen Essay veröffentlicht hat, in dem sie über Kulturproduktion, Privilegien und Herkunft reflektiert. Das klingt anstrengender, als es live sein wird, Ochers Auftritte sind unbedingt sehenswert.

„Die Leute sollen auch kommen, wenn sie keinen Namen kennen“, betont Goetzke. Und fügt hinzu: „Klar, man könnte bei so vielen Bands auch 40 Euro verlangen. Doch damit schließt man eben die Leute aus, die man haben will.“ Die Organisationsstrukturen sind schlank geblieben, zudem fördert das Musicboard das Festival – mit dem Ergebnis, dass das Ticket für den Samstag nur 18 Euro kostet. Wer Spaß am ziellosen Umherschweifen und Entdecken hat, wird auch diesmal auf seine Kosten kommen.

Ein paar persönliche Tipps haben die beiden Macher trotzdem im Angebot: Norman Palm freut sich besonders auf die westafrikanische Musikerin Nahawa Doumbia. Das von ihr vertretene Genre Wassoulou hat eine lange Tradition, einst beförderte es die Entstehung des US-amerikanischen Blues. Gespannt ist er auch auf die psychedelischen Flamingods: Kamal Rasool rief das Projekt in seinem Schlafzimmer in seiner Heimat Bahrain ins Leben. Während eines Studienaufenthalts in Großbritannien wurde eine richtige Band daraus. Dann wurde Rasool die Aufenthaltserlaubnis entzogen, er musste zurück in den Inselstaat. Dank Internet existierte die Band weiter. Beim Torstraßen Festival werden sie zusammen auf der Bühne des Bassy stehen.

Andrea Goetzke dagegen freut sich besonders auf Pan Daijing, die ihren Sound zwischen Noise und übersteuertem Techno auf dem Berliner Label Noisekölln veröffentlicht. Und liefert als zweiten Tipp gleich ein Gegenprogramm zu diesem eher krachigen Sound: Mavi Phoenix, eine junge Österreicherin mit Händchen für Ohrwürmer. „Ganz tolle Popmusik“, verspricht Goetzke.

Auch das macht Spaß am Torstraßenfest: Es ist ein sehr offenes System. Und wenn es einem gerade irgendwo nicht gefällt: Um die Ecke klingt es garantiert anders.

Wer es gemütlicher will, kann am Super Sunday in bestuhltem Ambiente Künstler gucken, die schon ein kleines bisschen etablierter sind: Im Babylon Mitte spielen Perera Elsewhere, Oum Shatt und die Magic Island auf.

Vor dem Kaffee Burger beim Torstraßen Festival 2016 Foto: Dieter H. Englery

Musikalische Weltreise: Das Torstraßen Festival

Angefangen hat alles mit einem Nachmittagsprogramm – daraus entwickelt hat sich das Torstraßen Festival. An vier Tagen spielen an unterschiedlichen Spielorten in Berlin-Mitte nun schon zum siebten Mal Musiker aus der ganzen Welt und aus den verschiedenen Spektren der Berliner Musikszene. Seit 2011 arbeiten die Organisationen mit der Nachbarschaft rund um die Torstraße zusammen, die eigene Ideen und Veranstaltungen umsetzen können. Das Festival beginnt schon Donnerstag mit einem Act, die offizielle Eröffnung findet Freitag statt.

Torstraßen Festival: verschiedene Orte, 8.–11. 6., ab 11 Uhr, Tickets: 18–33 €, www.torstrassenfestival.de