Doku-Theater Die Bühne für Menschenrechte war erstmals in Bremen mit den NSU-Monologen zu Gast. Es war im besten Sinne schwer zu ertragen
: Zuhören lernen

Beim Schweigemarsch in Kassel 2006 lernten sich Hinterbliebene der NSU-Mordserie kennen Foto: Speicherbühne

von Gareth Joswig

Es hat einfach niemand zugehört. „Ich habe ihnen dreimal gesagt, es waren Nazis“, sagt Adile Şimşek. Ähnliches sagt auch İsmail Yozgat: „Es waren Ausländerfeinde.“ Beide sind Hinterbliebene der Opfer der rechtsterroristischen Mordserie des „Nationalsozialistischen Untergrunds“. Genauso Elif Kubaşık: „Ich habe mit einer Zeugin gesprochen: Sie hat die zwei Männer gesehen. Sie sagte: ‚Die sahen aggresiv aus‘, und: ‚Es waren entweder Junkies oder Nazis‘. Der Polizist hat nur Junkies aufgeschrieben.“

Trotz vieler Hinweise verdächtigte die Polizei keine Neonazis, sondern ermittelte im Umfeld der Opfer. Entlang zugeschriebener Stereotypen vermutete die „Soko Bosporus“ Banden-, Mafia- oder Drogen-Kriminalität, wahlweise Ehrenmorde hinter den Taten. Gesteigert in Perfidität und Rassismus wird das nur noch von JournalistInnen, die mit dem Begriff „Döner-Morde“ die Opfer dieser Mordserie vollends entmenschlichten.

Das dokumentarische Theaterstück „NSU-Monologe“ lässt jene zu Wort kommen, die sonst nicht gehört werden. Das Stück der Bühne für Menschenrechte ist eine möglichst wortgetreue Wiedergabe von Interviews mit den Hinterbliebenen der Mordserie des rechtsterroristischen Netzwerks „Nationalsozialistischer Untergrund“. Am Donnerstagabend war das bundesweit durch ein KünstlerInnennetzwerk aufgeführte Stück in der Speicherbühne zu sehen. Vier SchauspielerInnen sprachen Monologe von Elif Kubaşık, Adile Şimşek und İsmail Yozgat.Es sind diejenigen, die nicht nur unter einem furchtbaren Mord an ihren engen Angehörigen, Enver Şimşek, Mehmet Kubaşık und Halit Yozgat, litten, sondern auch noch darunter, dass die Mordserie des NSU nicht aufgeklärt wurde und es in weiten Teilen bis heute nicht ist. Die NSU-Monologe lassen sie so unverfälscht zu Wort kommen, wie es eben mit Schauspielern möglich ist. Regisseur Michael Ruf hat stundenlange Interviews mit den Hinterbliebenen geführt und sie collagiert. Er hat keine Textpassagen verändert oder geschönt, es soll möglichst realistisch sein.

Es ist im besten Sinne schrecklich. Schmerzlich unvermittelt und konfrontativ sprechen die SchauspielerInnen die Aussagen der Hinterbliebenen monologisch, aber emotional ins Publikum. Die ZuschauerInnen bekommen eine Ahnung davon, auf wie vielen Ebenen den Angehörigen der NSU-Opfer Unrecht angetan wurde, wenn sie von endlosen Verhören durch die Polizei und die damit einhergehenden Verdächtigungen durch Öffentlichkeit und auch des persönlichen Umfelds erzählen.

Das Stück ist ein historisches Zeugnis der systematischen Entwürdigung der Betroffenen von staatlich gedecktem Nazi-Terror. Als Zuschauer schämt man sich. Dafür, dass niemand diesen Menschen zugehört hat. Und auch dafür, dass die weiße Linke diesen Menschen nicht zuhörte. Fragt sich, wie es dazu kommen konnte, dass eine derart brutale Mordserie mit immer derselben Waffe trotz konkreter Hinweise und einer mit V-Männern durchsetzten Nazi-Szene über zehn Jahre lang nicht aufgeklärt wurde.

„Es gibt in der Gesellschaft einen antitürkischen Konsens“

Orhan Çalışır, freier Journalist

Um genau diese Fragen ging es im Anschluss in einer Podiumsdiskussion, bei der Regisseur Ruf, Jörg Tapking von der Linken und das Publikum über gesellschaftlich latenten Rassismus und dessen Auswirkungen sprachen. Tapking wies auf die gegenwärtige rechte Bedrohung hin: „Auch in Bremen hat es vier unaufgeklärte Brandanschläge in jüngster Zeit gegeben.“ Die Taten des NSU hätten nicht im luftleeren Raum stattgefunden, sondern ihr Vorspiel in den Pogromen von Hoyerswerda und Rostock-Lichtenhagen gehabt, legitimiert durch politische Asylverschärfung, einer zu heute vergleichbaren Situation.

Ein Zuschauer, Orhan Çalışır, erzählte von eigenen Erfahrungen. Er arbeitete lange Zeit als freier Journalist für ARD und ZDF. In Redaktionskonferenzen konnte er damals niemanden für Berichte über die Mordserie interessieren. Er sagt: „Es ist schwer, so ein Thema unterzubringen.“ Er hält den Rassismus von damals für aktueller denn je: „Es gibt in dieser Gesellschaft einen antitürkischen Konsens.“

Die drei Hinterbliebenen, von denen das Stück erzählt, sind inzwischen befreundet. Sie lernten sich kennen, weil sie einen Schweigemarsch organisierten. 4000 Menschen forderten in Kassel mit ihnen: „Kein Zehntes Opfer“. Linke Gruppen waren nicht dabei. Damals sprach auch İsmail Yozgat: „Herr Innenminister, bewegen Sie den Tod meines 21-jährigen Sohnes in ihrem Herzen und sorgen Sie dafür, dass es aufhört.“ Zugehört hat er nicht.