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All diese Gewalt

Theater Ging es nicht auch um die Liebe, die Drogen, die Freiheit? „Der Schuss 2-6-1967“ in der Neuköllner Oper greift etwas kurz

von René Hamann

Es ist schon erstaunlich, wie kurz der Weg wird. Es scheint fast so, als sei das, was man im weitesten Sinn unter „1968“ versteht, hierzulande sehr stark bis nahezu ausschließlich mit dem Begriff der Gewalt verbunden. Der Weg führt dann vom 2. Juni 1967, dem Tag des tödlichen Schusses auf den Studenten Benno Ohnesorg, direkt zum Deutschen Herbst 1977, zu den Toten von Stammheim und den prominenten Opfern der RAF, und aus der Geschichte einer kulturellen Revolution wird also ein einziges Blutvergießen. Aber war das wirklich alles? Steht die Geschichte von 1968, die mit diesem Schuss vom 2. Juni 1967 beginnt, für nichts anderes mehr?

Kind oder Revolution

Eine Frage, die sich das Stück „Der Schuss 2-6-1967“, das am Freitagabend seine Premiere in der Neuköllner Oper feierte, zumindest stellte, auch wenn die Antwort relativ unbefriedigend ausfiel. Bernhard Glocksin (Text), Arash Safaian (Musik) und Fabian Gerhardt (Inszenierung) haben versucht, Konfliktlinien nachzuzeichnen, die von diesem einschneidenden Tag vor 50 Jahren ausgingen. Sie starten zwar beim konkreten Geschehen um den Schah und seinem abendlichen Besuch in der Deutschen Oper, geraten aber relativ schnell zu Ulrike Meinhof und der Frage „Kind oder Revolution“.

Die Grundkonstellation ist relativ simpel gehalten. Josephine Lange spielt eine schwangere, frisch verheiratete Ehefrau, die vergeblich auf ihren Mann wartet, der noch mal gucken wollte, was da eigentlich so los ist – kurz „Ben“ genannt (Martin Gerke). Um diese Konstellation herum – Mann macht Revolution oder schaut zumindest, was die Revolution macht, Frau bekommt Kind oder entscheidet sich als junge Mutter dafür, das Kind in Obhut zu geben, weil die Revolution ruft – kreist das gesamte Stück, also mehr oder weniger um die Frage „Familie oder Widerstand“. „Die No-gos sind klar“, schreibt Bernhard Glocksin dazu im Programmheft, „kein Dokutheater, keine durchkomponierte Neue Oper. Eher dem Nachklang folgen, subjektiv, mit fiktiven Figuren und Bildern, in Gefühlen, Träumen und einem Klangraum, der das Reale oder sein Abbild nur zitieren darf.“

Was dabei jedoch herauskommt: ein Stück, das sich zwischen all dem nicht so recht entscheiden kann. Ein wenig Dokutheater, ein wenig Neue Oper, ein wenig das Reale, ein wenig das Fiktive.

Das Dokumentarische beschränkte sich im Wesentlichen auf das Zitieren der Slogans, wie sie auf den Demos, in den Hörsälen und Plenen skandiert wurden, und den wirklich scheußlich klingenden Kampfsätzen der Ulrike Meinhof (Faschismusverarbeitung wäre ein gutes Thema gewesen – aber all diese Gewalt führte zu nichts). Aber ging es 1968 nicht auch um die Liebe, um die Drogen, die Freiheit und all das? Und um die Musik – die hier im Rahmen der „Neuen Oper“ blieb, mit gelegentlichen Andeutungen von so etwas wie Rockmusik.

Singen konnten die DarstellerInnen natürlich – vor allem Gerke und die in einer Nebenrolle versteckte Pauline Jakob. Komponist Arash Safaian brachte dazu noch eine persische Note herein – erfreulich, wobei so ganz ohne Untertitel leider unverständlich.

Die „Revolution“ bleibt etwas, das irgendwie draußen stattfindet

Der Familiendiskurs

In den linken und ganz linken Diskursen ging es aber auch darum, in der Familie, dem Staat, der Religion etc. „ideologische Staatsapparate“ (Althusser) zu erkennen und diese als solche zu bekämpfen oder wenigstens zu entlarven. Der Familiendiskurs, den Glocksin in seinem Libretto hier anstößt, bleibt hingegen eher bieder. Und die „Revolution“ etwas, das irgendwie draußen stattfindet, auf der Straße, aber nicht im Kern.

Dabei hätte man aus dem Material durchaus mehr machen können. Zitierte Sätze wie „Angst ist die Peitsche des Systems“ sind ja nicht nur skurril und komisch, sondern könnten immer noch oder wieder etwas aufbrechen, auslösen – genau wie der zweimal gedroppte Satz aus der Naturwissenschaft, dass da, wo ein Körper ist, kein anderer Körper sein kann. Auch die Kommune 1 – die als „Kommune 1 Punkt 1“ zitiert wird – bleibt eben das: Zitatmaterial, mit dem ein echter Umgang, eine tatsächliche diskursive Weiterführung gar nicht stattfindet. „Zu bemüht“ fand das ein Zuschauer nach dem Stück (Claus Peymann war übrigens auch da) – man könnte es auch verschenkt nennen.

Nächste Aufführungen: 8.–11. 6., 15. 6., jeweils 20 Uhr

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