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Die Eingesperrten

Anstalten Noch bis Anfang der 1980er-Jahre herrschten in Anstalten für Behinderte wie denen in Alsterdorf unfassbare Zustände. Die Insassen wurden gedemütigt und gequält. Immerhin gibt es jetzt einen Entschädigungsfonds

Das waren die 70er-Jahre: Blick in einen Schlafsaal der Alsterdorfer Anstalten Foto: Evangelische Stiftung Alsterdorf

Kalte Raffgier zur Tugend deklariert

betr.: „Opfer der Anstalten“,taz.nord vom 27./28. 5. 17

Nicht ohne Grund sind die beiden großen christlichen Kirchen in Deutschland die größten Anbieter auf dem Sozialmarkt. Zwar haben sie ihre vielen Institutionen und Firmen in formal eigenständige Organisationen überführt, der Gewinn, den sie mit den mittlerweile gut dokumentierten Prinzipien über den Betrieb von Einrichtungen der Fürsorge gemacht haben, ist vermutlich schwer zu fassen. Auf jeden Fall erfüllen die genutzten Praktiken den Tatbestand der Veruntreuung öffentlicher Gelder.

 Der Staat, in Vertretung seiner Bürger und Bürgerinnen, stellte den kirchlichen Trägern Mittel zur Verfügung, mit denen hilfsbedürftigen Personen gut betreut und wo immer möglich ausgebildet werden sollten. Stattdessen wurde nicht nur an Personal, Material und Mitteln gespart, sondern die Insassen soweit es eben ging ausgebeutet. Zwangsarbeit, Menschenhandel zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung, Medikamentenversuche.

 Die Funktionäre der Evangelischen Kirche sind sehr geschickt darin, von genau diesen Sachverhalten abzulenken. Dabei sind sie vom Geist des Calvinismus, in dem kalte Raffgier zur Tugend deklariert wurde, geprägt. Gemeinsam mit einer Form des Sadismus, wie ihn wohl nur das Christentum hervorbringt, wurden Stätten errichtet, gegen die die Höllen eines Hieronymus Bosch geradezu himmlisch wirken.

 Unabhängige Aufklärung dieser kollektiv betriebenen Verbrechen an besonders hilflosen und schutzbedürftigen Menschen ist überfällig. In Initiative des Staates, nicht unter Aufsicht der verantwortlichen Institutionen.  ANGELIKA OETKEN taz.de

Schämen fällt schwer

betr.: „Opfer der Anstalten“,taz.nord vom 27./28. 5. 17

„Wieso erfolgte die Aufarbeitung dieser Geschehnisse, das Sprechen darüber und schließlich auch die Anerkennung als entschädigungsfähiges Unrecht erst jetzt und erst so spät?“, fragt sich der Autor. Er begründet die Verspätung mit der Scham. Ich denke, damit liegt er knapp daneben.

 Scham, hätte das Lexikon dem Autor erklärt, wenn er gefragt hätte, entsteht, wenn Menschen sich bewusst werden, dass sie soziale Normen und Erwartungen nicht erfüllen. In einer Gesellschaft, in der „die alten Ideen von Zucht und Ordnung, von Bestrafung und Isolation bei Fehlverhalten und Begünstigung bei Wohlverhalt“ weitergelten und als Normalität aufgefasst werden, ist es schwer, Scham zu empfinden, wenn man berufsbedingt für „Zucht und Ordnung“ sorgt, Fehlverhalten bestraft und Wohlverhalten begünstigt. Vor allem, wenn man sich mangels Qualifikation nicht anders zu helfen weiß als auf die „gute alte Art“. Das Schämen fällt selbst dann noch schwer, wenn das Recht neuerdings Schuld zuweist für allzu rabiates Vorgehen gegen Schutzbefohlene.  MOWGLI, taz.de

Warme Worte

betr.: „Opfer der Anstalten“,taz.nord vom 27./28. 5. 17

Interessant wäre, welche Konsequenzen es für dieses Pflegepersonal gab und was z. B. Leute wie Frau Käßmann dazu meinen. Im Prinzip passiert nix. Es wird wie üblich ein paar warme Worte geben, man windet sich, aber niemand wird für das Unrecht geradestehen.  GEORG SCHMIDT, taz.de