Kolumne Cannes Cannes: Beschnuppern und Intuition
Damit aus Bildern Filme werden, braucht es weniger linguistisches Geschick als Einfühlung. Genial gelingt das in Valeska Grisebachs Film „Western“.
D inge wollen vermittelt sein. Bilder müssen in einen Zusammenhang gebracht werden, damit im Film eine Geschichte daraus wird. Ganz ohne Worte ist Verständigung – im Kino und anderswo – daher schwierig: Selbst im Stummfilm waren hin und wieder Zwischentitel nötig, um den Zuschauern mitzuteilen, was sich über Bilder allein nicht erschloss.
In Todd Haynes’ Wettbewerbsfilm „Wonderstruck“ werden Bild und Ton, Stummes und Sprache mehrfach kurzgeschlossen. Zwei Geschichten führt der Regisseur parallel, die eine in Schwarzweiß und als Stummfilm, die andere in Farbe und mit Ton. Der Stummfilm spielt im Jahr 1927 und folgt dem gehörlosen Mädchen Rose, das von zu Hause fortläuft, ab nach New York.
Auch der Farbfilm hat einen tauben Protagonisten, Benn, der bei einem Blitzschlag sein Gehör verliert und kurz darauf ebenfalls nach New York abhaut, bloß 50 Jahre später.
Die beiden Erzählstränge treffen sich in der Gegenwart des Jahrs 1977. Leider bastelt Haynes für diesen Doppelplot eine ungelenke Dramaturgie, die rasch an Fahrt verliert und in der Zielgeraden auf unnötige Schnuckeligkeit hinausläuft, die von seiner Reflexion über die Mittel des Kinos nicht viel übrig lässt.
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Abenteuer im Wilden Osten
Um Vermittlungsfragen geht es auch in Valeska Grisebachs drittem Spielfilm „Western“ in der Reihe „Un Certain Regard“. Grisebach schickt ein paar deutsche Bauarbeiter ins bulgarische Hinterland, in dem es deutlich mehr Bäume als Menschen gibt. Die Fremdarbeiter beginnen nebenbei die Gegend zu erkunden und nehmen, mehr oder minder erfolgreich, Kontakt mit den Bewohnern eines nahe gelegenen Dorfs auf.
Kommunikation, so zeigt sich, hängt weniger von linguistischen Fertigkeiten ab als von Beschnuppern und Intuition. Das alles gestaltet Grisebach als lakonisches Wildost-Abenteuer, in dem sie einen perfekten Rhythmus für die Konkurrenzkämpfe zwischen den beteiligten Herren findet. Alles geschieht scheinbar beiläufig, aber dafür umso genauer beobachtet und in glasklaren Bildern festgehalten: der bisher stärkste Film in Cannes.
Verrückte Sachen mit Flüchtlingen schließlich passieren im Wettbewerbsfilm „Jupiter’s Moon“ von Kornél Mundruczó. Der Titel leitet sich vom Jupitermond Europa her, und um das unerreichbar ferne Europa geht es auch, aus Perspektive der Flüchtlinge, die dorthin gelangen wollen.
Ob es eine gute Idee war, dass sich Mundruczó für dieses Thema der Groteske bedient, ist allerdings die Frage. Die Geschichte um Aryan, einen syrischen Flüchtling, der beim Grenzübertritt gestellt, von einem Polizisten mit drei Kugeln durchlöchert wird und fortan schweben kann, hat den Vorzug, nicht auf Betroffenheitskitsch zu setzen.
Andererseits hat sie den Nachteil, in ihrer Mischung aus surrealer Komik, Thriller und symbolischer Überfrachtung eher albern zu wirken. Eine vertane Chance.
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