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Wundenlecken bei der SPD

VerliererBei Schleswig-Holsteins Sozialdemokraten hat Noch-Ministerpräsident Albig nach der Niederlage keine Chance mehr. Landeschef Stegner gibt sich unbeeindruckt

Aus Kiel Marco Carini

Die Demontage des Wahlverlierers beginnt am Sonntag, Punkt 18.03 Uhr. Im Kieler SPD-Fraktionssaal ist die Stimmung niedergeschlagen. Die ersten Prognosen von ARD und ZDF machen klar: Die von der SPD geführte „Küstenkoalition“ mit den Grünen und der Partei der dänischen Minderheit, dem SSW, unter Ministerpräsident Torsten Albig ist abgewählt.

Nach kurzer Schrecksekunde verteidigt SPD-Wirtschaftsminister Reinhard Meyer den „Gerechtigkeits-Wahlkampf“ seiner Partei – und keilt ganz nebenbei gegen den Noch-Regierungschef aus: „Gerechtigkeit ist zwar ein positiv besetzter Begriff, aber die Leute wollen eben auch wissen, was das genau heißt.“ Und das zu benennen, so legt Meyer nahe, ohne es explizit auszusprechen, sei Thorsten Albig eben nicht gelungen.

Es sei „nicht mehr so sehr um politische, um Gerechtigkeitsthemen“ gegangen, „sondern eher um Dinge wie das Privatleben des Ministerpräsidenten“, legt die SPD-Generalsekretärin Katarina Barley kurz darauf nach. Sie spielt damit auf ein parteiintern vehement kritisiertes Interview Albigs mit der Bunten an, in dem er sich zur Trennung von seiner Frau geäußert hatte. Er habe sich schneller als sie entwickelt, sodass sie nicht mehr auf Augenhöhe mit ihm gewesen sei, hatte Albig betont – ein Zitat, dass dem Ministerpräsidenten als „patriarchale Denkweise ausgelegt“ wurde und dazu geführt hatte, dass vor allem weibliche SPD-Mitglieder zuletzt den Wahlkampf für ihren Spitzenkandidaten verweigert hatten.

Offiziell versuchen die Kieler Sozialdemokraten jedes Scherbengericht zu vermeiden – mit Rücksicht auf die wahlkämpfenden Genossen in Nordrhein-Westfalen. Und sie bemühen sich auch am Tag danach, alle Erklärungsversuche für die Niederlage möglichst weit von Kanzlerkandidat und Parteivorsitzendem Martin Schulz weg zu halten. Die Ausgangslage habe sich seit dem Schulz Amtsantritt „deutlich verbessert und Rückenwind gebracht“, behauptet Schleswig-Holsteins SPD-Chef Ralf Stegner, ohne einen einzigen Beleg für diese These zu liefern. Die Niederlage habe ihre Gründe „nicht im Bund, sondern in Schleswig-Holstein“.

Auffällig ist, worüber Stegner nicht spricht – über sich selbst. Wenn auch die begonnene Demontage des abgewählten Ministerpräsidenten bremsend, äußert sich der stellvertretende SPD-Bundesvorsitzende am Tag nach dem Wahldesaster nur über Albigs Zukunft, nicht aber über seine eigene. Seit zehn Jahren SPD-Landeschef, lenkte Stegner mehr als jeder Andere die Geschicke und auch den Wahlkampf seiner Partei. Dass die krachende Wahl-Niederlage auch eine krachende Niederlage des profilierten Parteilinken ist, aber wagt keiner der schleswig-holsteinischen Sozialdemokraten, die sich nach der Wahl im Eiltempo von Albig distanzieren, laut auszusprechen.

Während bei der SPD das große Wundenlecken begonnen hat, taumelt die CDU vor Freude. Niemand in der Union hatte damit gerechnet, die SPD so weit hinter sich zu lassen und niemand scheint das Phänomen Daniel Günther so wirklich zu verstehen. Der 43-jährige Fraktionschef im Kieler Landtag hatte erst im Oktober Ingmar Liebing als Spitzenkandidat abgelöst, dessen Umfragewerte unterirdisch waren. Ein Not-Kandidat.

Auffällig ist, worüber Ralf Stegner nicht spricht – über sich selbst

Noch vor wenigen Wochen sahen alle Wahlprognosen die SPD vorn und eine Wechselstimmung wollte im nördlichsten Bundesland nicht aufkommen. Populistisch verordnete Günther seiner Partei eine schulpolitische Kehrtwende weg vom achtjährigen Turboabitur hin zum Langsam-Abi nach neun Jahren – Umfragen hatten ergeben, dass die Mehrheit der Eltern vom schulischen Schnelldurchlauf ihrer Kinder eher gestresst als angetan waren. Ansonsten gab sich der Herausforderer vor allem als lockerer, wertkonservativer Sonnyboy, vermied Fettnäpfchen und wartete auf die Fehler Albigs – das reichte für einen donnernden Wahlsieg. Anders als die Sozialdemokraten betont die Union zudem bundespolitische Aspekte – das Wahlergebnis sei auch eine Bestätigung Angela Merkels und eine heftige Niederlage für Martin Schulz.

Unbehagen macht sich derweil bei den Grünen breit. Zwar sind die erreichten 12,9 Prozent für Umweltminister Robert Habeck, den beliebtesten Politiker Schleswig-Holsteins „der Abgesang vom Abgesang“ ihrer bundesweit schwächelnden Werte. Doch ein Bündnis mit CDU und FDP, die wahrscheinlichste Koalitionsvariante ist, könnte linksgrüne Wähler verprellen und die Partei weiter schwächen.

Kaum war das Kieler Wahlergebnis verkündet, da sahen sich die nordrhein-westfälischen Grünen bemüßigt, zu erklären, für sie komme nach der Landtagswahl am kommenden Wochenende eine Jamaika-Koalition keinesfalls in Frage. „Wir haben große Probleme damit, eine Idee mit der CDU und der FDP zusammen zu entwickeln, die ein Land tragen kann, wenn sie denn liberal und fortschrittlich sein soll“, ging auch Habeck am Montag auf Distanz zu Jamaika. Eine Distanz, die die Grünen noch aufrechterhalten werden, bis am kommenden Sonntag in Düsseldorf, Duisburg und Dortmund die Wahllokale schließen.

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