Jürgen Gottschlich über Erdoğans Besuch bei Trump: Möchtegern-Weltpolitiker
Erdoğan trifft Trump – doch zumindest in den USA schaut niemand hin. Der türkische Präsident wollte von dem Treffen die zukünftige Zusammenarbeit mit USA, Nato und dem Westen insgesamt abhängig machen, prallte aber an einem desinteressierten Trump völlig ab. „Er hat es ihm ins Gesicht gesagt“, versucht die türkische Regierungspresse heute dennoch eine triumphale Botschaft zu vermitteln, weil Erdoğan in dem kurzen Gespräch mit Trump darauf bestanden hatte, dass die syrisch-kurdische YPG eine „Terrororganisation“ sei und deshalb nicht von den USA unterstützt werden dürfe. Trump interessierte das nicht.
Alle Probleme bleiben also ungelöst. Die US-Armee wird weiterhin mit den syrischen Kurden gegen den IS vorgehen, der angebliche Anstifter des Putsches vom letzten Juli, Fethullah Gülen, bleibt in seinem amerikanischen Exil unangetastet, und die US-Wirtschaft interessiert sich noch immer nicht für den türkischen Markt. Das im doppelten Wortsinn handgreiflichste Ergebnis des Treffens bleibt, dass Erdoğans Bodyguards vor dem Weißen Haus kurdische Demonstranten derart massiv zusammenschlugen, dass die US-Polizei eingreifen musste.
Erdoğan wird es schwerfallen, das angeblich „historische Treffen“ mit Trump als Erfolg zu verkaufen. Ähnlich ging es ihm zuvor schon beim chinesischen Präsidenten Xi Jinping und dem russischen Alleinherrscher Wladimir Putin. Die Hybris Erdoğans, der tatsächlich glaubte, als „Führer“ der muslimischen Welt mit Putin, Xi und Trump auf Augenhöhe verhandeln zu können, wurde schwer gedämpft.
Kommende Woche wird Erdoğan zum Abschluss seiner Welttournee die EU-Spitzenpolitiker Juncker und Tusk in Brüssel treffen. Vielleicht hat er bis dahin genug Realitätssinn zurückgewonnen, um wenigstens dort zu retten, was womöglich noch zu retten ist. Bleibt er auf seinem „Weltpolitiker“-Sockel stehen, wird er die Türkei endgültig in die Isolation führen.
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