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Panzer im Nachmittagslicht sieht man nicht

Kunst Der britische Medienkünstler James Bridle nutzt das selbstfahrende Auto als poetisches Instrument und weist zugleich auf die Grenzen der Technologie hin. Eine Ausstellung in der Galerie Nome

von Tom Mustroph

James Bridle ist von selbstfahrenden Autos fasziniert. Nicht in erster Linie davon, wie sie sich bewegen. Eher von ihren Grenzen und dem poetischen Raum, den diese Lücken eröffnen. Der gelernte Programmierer und Medienkünstler zeichnete zuvor den Schatten von Drohnen auf den Asphalt, um auf die Bedrohung aus der Luft hinzuweisen. Er stellte Verhandlungen der geheimen Abschiebegerichte in England nach und visualisierte die schwarzen Zensurbalken im Report des US-Kongresses zu Folter in Guantánamo.

Jüngst erregte er Aufsehen mit seinem Video „Car Trap“. Diese „Autofalle“ zeigte, wie ein sich selbst lenkendes Fahrzeug in einen durch zwei Linien markierten Kreis fuhr – und nicht wieder herauskam. Die äußere Umrandung war eine gestrichelte Linie. Sie erlaubte der Software das Passieren. Die innere Linie war jedoch durchgezogen – und verbot dem selbstfahrenden Auto jegliche Positionsänderung. „Solange kein menschlicher Fahrer es fortbewegt, ist es in dieser Falle gefangen“, meint Bridle anlässlich seiner aktuellen Ausstellung „Failing to Distinguish between a Tractor Trailer and the Bright White Sky“ in der Kreuzberger Galerie Nome.

Auf den Galerieboden hat er den Doppelkreis aufgetragen. „Ein Auto durfte ich leider nicht hereinbringen, vielleicht das nächste Mal“, meint er lächelnd.

Auf selbstfahrende – oder selbststoppende – Autos als künstlerisches Instrument kam er durch einen tragischen Unfall. Am 7. Mai 2016 fuhr ein mit Selbstfahrsystem ausgerüsteter Wagen von Tesla in einen Lkw-Anhänger. Die im Wagen befindliche Person starb. Sie hatte die Hände nicht am Lenkrad und war durch ein „Harry Potter“-Video abgelenkt.

Das Steuerungssystem von Tesla verwechselte den weißen Anhänger mit dem weißen Himmel. Der entscheidende Satz des Fehlerprotokolls – „Failing to Distinguish between a Tractor Trailer and the Bright White Sky“ – ist denn auch der Titel der Ausstellung. Bridle geht es vor allem darum, den Glauben an die Allmacht und Unfehlbarkeit der Technik zu erschüttern. „Menschen glauben, dass sie sich jetzt einfach nur in den Wagen setzen müssen und die Technik macht alles. Sie ist aber fehlerhaft. Und das zentrale Problem ist, dass keiner weiß, wie diese selbstlernenden Systeme tatsächlich operieren“, meint er.

Bridle verweist dabei auf eine seit Jahrzehnten in der Technikszene kursierende Legende über eine Panzererkennungssoftware der U.S. Army. Das Programm konnte in einer ersten Testphase fehlerlos unter Bäumen versteckte Panzer identifizieren. Bei der nächsten Anwendung versagte das System aber kläglich. Der Grund: Es war auf Fotos, die am Vormittag mit einer bestimmten Helligkeit aufgenommen waren, geeicht und fand Panzer auf Fotos zu anderen Lichtbedingungen einfach nicht. Ob diese Episode sich tatsächlich ereignete oder schon zu den Mythen dieser jungen Branche gezählt werden muss, ist nicht klar. Sie illustriert aber die Entscheidungsprozesse dieser Systeme.

Eine zweite Arbeit Bridles in der Ausstellung, eine Fotoserie, versucht, gerade diese Entscheidungsprozesse sichtbar zu machen. Drei Fotos zeigen eine Straße, so wie auch das menschliche Auge sie wahrnimmt. In einem zweiten Schritt hat die Bilderkennungssoftware die für die Auswertung weniger wichtigen Bereiche bereits ignoriert. Der Himmel etwa taucht nicht mehr auf – analog zum tragischen Unfall mit dem weißen Anhänger. Die weißen Fahrbahnmarkierungen sind hingegen hervorgehoben. Auf einer nächsten Bildebene zerfließen die Fahrbahnmarkierungen bereits zu Pixeln. Und auf der folgenden ist außer weißen Punkten auf schwarzem Grund nichts mehr zu erkennen. Was die Maschine hier macht, ist dem Menschen nicht mehr zugänglich.

Parallel zur Warnung vor dieser kognitiven Abkopplung verfolgt Bridle noch eine Selbstermächtigungsstrategie. Die Software für seine selbstfahrenden Autos hat er über Open- Source-Projekte erworben. „Im OpenSource-Bereich gibt es die avanciertesten Dinge. Ich finde es gut, wie hier diese Technologie weiterentwickelt wird und die Erfahrungen geteilt werden. Nur so wächst Kompetenz“, meint er.

Mit einem von der Open- Source-Software gesteuerten Fahrzeug ist der in Griechenland lebende Brite denn auch den Berg Parnassos hochgefahren – den mythischen Sitz der Musen, der Heimat von Kunst und Wissenschaft. Das eingeblendete Lenkrad zeigt dabei die automatischen Steuerungsvorgänge an. Diese Fahrt immerhin war erfolgreich. Das System konnte zwischen Fahrbahnmarkierungen und Schnee am Straßenrand gut unterscheiden.

Galerie Nome, Glogauer Straße 17, bis 29. Juli

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