Rudolf Balmer über Emmanuel Macrons Amtsantritt: Frechheit als einzige Chance
Das Zeremoniell der Amtsübergabe passt mit seinen Symbolen und Ritualen eher in längst vergangene Zeiten der Monarchie oder Napoleons Kaiserreich als in das 21. Jahrhundert. Die jugendliche Energie des neuen Präsidenten stand in entsprechend krassem Kontrast zu dem schweren Golddekor des alten Élysée-Palasts. Emmanuel Macron wird es nicht leicht haben mit diesem institutionellen Ballast.
Bei seinem Amtsantritt hat er das Protokoll im Kostüm des Klassenbesten und mit einer Ode an den Patriotismus fehlerfrei absolviert. Nach der Feier begann aber sofort der Ernst. Denn es reicht nicht, von Erneuerung zu reden. Maßnahmen zu ihrer Verwirklichung stoßen zwangsläufig auf Protest. Spätestens mit der entscheidenden Nominierung des Premierministers oder der Premierministerin endet Macrons rhetorischer Gleichgewichtsakt zwischen links und rechts. Die goldene Mitte existiert ab sofort nicht mehr. In der Staatsführung der kommenden Wochen und Monate kann der Präsident es unmöglich allen, die auf ihn gesetzt hatten, recht machen.
Die Regierungsbildung wird darum unweigerlich Unzufriedenheit auslösen. Noch vor dem ersten Gesetzentwurf wird wegen der Postenvergabe über Verrat und mangelnde Dankbarkeit geklagt und gejammert werden. Den Opportunisten unter den meist frisch zum „Macronismus“ Bekehrten dürfte das ein heilsamer Denkzettel sein. Wer an Macron als „Mann der Vorsehung“ geglaubt hat, wird in der Realität bald ernüchtert werden.
Macrons einzige Chance in diesem Wettlauf mit der Zeit ist es, noch schneller und vor allem effizienter zu sein als die bestimmt rasch wachsende Zahl der Skeptiker und Gegner. Als Vertreter einer neuen Generation hat er die Möglichkeit, sich mit jugendlicher Nonchalance und Frechheit über Konventionen hinwegzusetzen, bevor diese ihn erdrücken und ähnlich handlungsunfähig machen wie seine Vorgänger. Die Zeit drängt – für Frankreich und Europa.
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