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Archiv-Artikel

Offensive für Deutschland

Heute startet eine beispiellose Medienkampagne mit dem Ziel, uns Deutsche ein wenig aufzuheitern: „Du bist Deutschland“ kommt so massiv daher, dass man sich der Botschaft kaum entziehen kann

VON JAN-HENDRIK WULF

Zur besten Werbezeit können die deutschen Zuschauer heute Abend die erste freiwillige Fernsehgleichschaltung seit 9/11 erleben: Fast zeitgleich rollt auf allen Kanälen die von einer breiten Phalanx aus privaten und öffentlich-rechtlichen Medienunternehmen getragene Wohlfühl-Kampagne „Du bist Deutschland“ an: Auf ARD und ZDF um 19.56 Uhr; auf Sat.1, Pro7, Kabel 1, RTL, RTL2, Vox, Super-RTL und Premiere um 20.13 Uhr.

Mit einem zweiminütigen Spot, der in verschiedenen Varianten noch bis Januar 2006 wiederholt wird, sollen die von Depressionen und Zukunftsängsten geschüttelten Deutschen wieder auf gute Laune getrimmt werden. Gezeigt wird ein deutsches Panoptikum aus 30 prominenten Mutmachern, Siegertypen und vertrauenswürdigen Mahnern.

Die namenlose Klofrau

Mit dabei sind Ulrich Wickert, Harald Schmidt, Günther Jauch, Oliver Kahn, aber auch kleine Leute wie die namenlose Klofrau im Kittel oder der optimistische Obdachlosenzeitungsverkäufer. Moralische Leuchttürme der Zuversicht, wie sie in Zeiten gesellschaftlicher Entsolidarisierung landauf, landab gesucht werden. Gemeinsam haben sie eine wichtige Botschaft unter das Volk zu bringen: Optimismus und Selbstvertrauen.

„Wie sich ein Lufthauch zu einem Sturm entwickelt, kann deine Tat wirken“, sinniert die Schauspielerin Minh-Khai Pan Thi. „Mag sein, du stehst mit dem Rücken zur Wand“, vermutet Ulrich Wickert, „oder mit dem Gesicht vor einer Mauer“, ergänzt die namenlose Klofrau. „Aber einmal haben wir schon gemeinsam eine Mauer eingerissen!“, vollendet Marcel Reich-Ranicki den Gedanken. Wer? Wir alle? „Wie wär’s, wenn du dich mal wieder selber anfeuerst?“, fragt Katharina Witt. „Gib die beste Leistung, zu der du fähig bist“, beschwört Justus Frantz. „Du bist die Hand!“, knurrt Oliver Kahn. „Du bist der Baum!“, fabuliert Anne Will. „Du-hu bist Deutschland!“, deklamiert der Dichter Walter Kempowski vor seiner großen Bücherwand und wackelt dabei bedächtig mit dem Zeigefinger. Musikalisch unterlegt ist das Ganze mit der Filmmusik von „Forrest Gump“. Zuschauer, aufgepasst: Du bist vielleicht auch nicht der Schlaueste, aber dazugehören kannst du trotzdem. Denn du bist Deutschland.

Deutschlands Medienunternehmer sorgen sich um die Stimmung am Standort. Unter der Ägide von Bertelsmann haben sie auf eigene Kosten eine Kampagne gezimmert und dafür Werbezeit und Anzeigenraum für mehr als 30 Millionen Euro frei geschaufelt. Was das soll, formuliert der Wörterbuch-Verleger Florian Langenscheidt: „Wir brauchen in Deutschland wieder einen spirit von risk taking.“

Mit im Boot sind neben den öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten und Bertelsmann auch die Konzerne Springer, Holtzbrinck, T-Online, Gruner + Jahr, Burda und Bauer sowie die Verlage von Spiegel, FAZ, SZ und WAZ. Die Kampagne deckt Kinowerbung und Internet ab und erreicht durch Anzeigen und redaktionelle Berichterstattung die Leser von der Zeitschriften- und Tagespresse. Großbäcker Kamps will 5 Millionen Brötchentüten mit dem „Du bist Deutschland“-Logo bedrucken lassen. Doch in ihrer orwellschen Einhelligkeit kann die geballte Medienmacht auch Unbehagen bereiten, was man laut Bernd Kundrun, Vorstandsvorsitzender von Gruner + Jahr, „eigentlich nicht kritisieren kann: Deutschland aus dem Tal der Tränen herauszuholen.“

Aber enthält der oberlehrerhafte Appell an die schlummernde Kraft des Einzelnen nicht auch einen performativen Selbstwiderspruch? Schließlich muss der zu mehr Eigenverantwortung ermeisternde „spirit of risk taking“ den Verzagten erst noch volkspädagogisch eingehaucht werden. Wenn Suggestion alles heilen könnte, dürfte man dabei die Zukunftsängste der Landsleute nicht allzu ernst nehmen: Ursache wären bloß noch beschränkte Selbstwahrnehmung oder mangelnde Selbstdisziplin.

Ärgeres darf dem seichten nationalen Inhalt der neoliberalen Wundertüte indes nicht unterstellt werden. Dafür bürgt Volksmusiktrompeter Patrick Lindner, der im Fernsehspot gemeinsam mit einem Menschen mit Down-Syndrom zwischen den Stelen des Holocaust-Mahnmals posiert. Gerade das lauschig-repressive nationale Kollektiv soll hier als Historie entlarvt werden: Gemeinsam sind wir nur dann noch stark, wenn wir es schon als Einzelne sind.

„Deutschland, das sind wir selber!“, hatte Heinrich Heine schon 1833 in seinem Pariser Exil formuliert, als das noch eine Minderheitenposition war. Doch auch heutzutage darf man noch gerne zweifeln, ob so viel mediale Einhelligkeit über die mentale Wurzel des nationalen Übels, ob so viel unerschütterliches Warten auf einen Ruck, der nur Gewinner kennt, überhaupt den Raum für ein anderes gesellschaftliches Denken geben will.

www.du-bist-deutschland.de