: Ist Ihre Basis konservativ, Herr Al-Wazir?
GRÜNE Hessens Fraktionschef Tarek Al-Wazir analysiert den Überraschungssieg von Katrin Göring-Eckardt. Sie spreche politisch heimatlose Gruppen an
■ Der 41-jährige Politikwissenschaftler sitzt für die Grünen im Hessischen Landtag und ist seit September 2007 auch Landesvorsitzender seiner Partei.
taz: Herr Al-Wazir, analysieren wir den Überraschungssieg von Katrin Göring-Eckardt. Dazu drei Theorien aus Ihrer Partei.
Tarek Al-Wazir: Immer her damit.
Im Grunde war es eine Wahl für Jürgen Trittin, nicht für Göring-Eckardt. Die Leute haben nur die Frau dazu gewählt, die am wenigsten stört.
Quatsch. Beide haben gewonnen. Trittin ist der unumstrittene Mann. Und das Ergebnis von Katrin ist ein großer, erarbeiteter Erfolg. Anfangs lag sie in Umfragen weit hinten. Auf den Urwahl-Foren haben sie Tausende Mitglieder gesehen. Sie hat unzählige Interviews gegeben und offensichtlich beeindruckt und in der Sache überzeugt.
Göring-Eckardt hat gewonnen, weil evangelische Kirchentage inzwischen grüne Vorfeldorganisationen sind.
Auch Quatsch. Es gab keine protestantische Großverschwörung. Die EKD ist sehr vielfältig, von fundamentalen Evangelikalen bis hin zu weltoffenen Progressiven. Ich würde ja begrüßen, wenn alle Protestanten Katrin Göring-Eckardt gut fänden, dann wären wir nahe an der absoluten Mehrheit. Ist aber nicht so.
Dritte Theorie: Auch Grüne denken in Geschlechterklischees. Die gut aussehende Göring-Eckardt wird eher gewählt als die schrille Roth oder die bissige Künast.
Männer sind in dieser Frage das schlichtere Geschlecht, das kann ich nicht für alle ausschließen. Trotzdem weit überwiegend auch Quatsch. Die Mehrheit hat sich nicht die bequeme, stille Frau gewählt. Wer so denkt, kennt Katrin Göring-Eckardt schlecht. Wenn unsere Spitzenkandidaten scherzhaft als Darth Vader und Mutter Teresa bezeichnet wurden, dann ist für Kundige noch unklar, wer von den beiden Mutter Teresa ist.
In Medien wird ihre Nominierung als Wunsch der Basis nach mehr Wertkonservatismus interpretiert. Wie sehen Sie das?
Die spannende Frage ist ja: Wer ist überhaupt die Grünen-Basis?
Klären Sie uns auf.
Ich unterscheide drei Schichten. Die Grünen haben Mandatsträger, die in Parlamenten sitzen. Dann gibt es Ehrenamtliche, die sich in der Partei engagieren und als Delegierte auf Parteitage kommen. Und drittens sind da die ganz normalen Mitglieder.
Denken diese Schichten politisch unterschiedlich?
Ja. Mandatsträger und -trägerinnen denken – egal ob Realos oder Regierungslinke – eher pragmatisch, weil sie um die Schwierigkeiten der Umsetzung von Parteitagsforderungen in Realität wissen. Die ehrenamtliche Funktionärsebene tickt politisch eher links. Und die normale Mitgliedschaft ist im Moment eine Blackbox. Niemand weiß, wie die 20.000 Mitglieder denken, die seit der vergangenen Bundestagswahl eingetreten sind.
Wollen die mehr Wertkonservatismus mit Göring-Eckardt?
Ich glaube, dass die allermeisten Mitglieder ganz pragmatisch entschieden haben. Für ein breites Angebot an die Gesellschaft. Und für eine gute Mischung.
Das heißt: Die Basis wählte nicht politisch, sondern es ging nur um den Habitus?
In der Mediendemokratie ist der Auftritt auch politisch. Eine große Rolle spielte, dass die Mitglieder ein frisches Gesicht dabei haben wollten. Und eine bürgerliche Anmutung. Nehmen Sie mal Katrin Göring-Eckardt und Thomas de Maizière …
■ Ergebnis: Seit Tagen rätseln führende Grüne über das Urwahl-Ergebnis. Die Wahl gewonnen hatten Jürgen Trittin (knapp 72 Prozent) und Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt (gut 47 Prozent). Sie bilden das Spitzenkandidaten-Duo im Wahlkampf. Fraktionschefin Renate Künast kam auf knapp 39 Prozent, die Parteivorsitzende Claudia Roth auf gut 26 Prozent.
■ Überraschung: Der Sieg der kirchlich engagierten Sozialpolitikerin Göring-Eckardt war die große Überraschung, mit der niemand in der Partei gerechnet hatte. Göring-Eckardt, die sich als wertegebunden bezeichnet, hatte zuvor damit geworben, die Grünen müssten auch Milieus der CDU in der bürgerlichen Mitte ansprechen. (us)
… jetzt wird es interessant.
Bei den Beliebtheitswerten von Politikern unterschiedlicher Parteien fällt auf: Sehr weit oben stehen Menschen, die eher Gelassenheit ausstrahlen und eine gewisse Nachdenklichkeit verbreiten. De Maizière, Kretschmann, Schäuble, Steinmeier, Merkel. Sie alle eint, dass sie nicht so tun, als hätten sie auf jede Frage sofort die richtige Antwort, aber vielleicht eine gute Gegenfrage. Diesem Bild entspricht Katrin Göring-Eckardt perfekt.
Welche Wähler kann Göring-Eckardt erschließen?
Ein Problem der CDU ist, dass sie Wertkonservative, denen sozialer Zusammenhalt und die nächsten Generationen wichtig sind, kaum noch erreicht. Christdemokraten wie Norbert Blüm, die wissen, wo sie herkommen und allen sozialen Aufstieg ermöglichen wollen, gibt es bei den Schwarzen nicht mehr. Da rennen ja fast nur noch Jurastudenten in Burberry-Jacken herum.
Und die wählen nicht Frau Merkel, sondern Göring-Eckardt?
Natürlich. Diese Menschen leben konventionell, also eher im Eigenheim in der mittelgroßen Stadt als in Berlin-Kreuzberg. Aber sie wissen, dass sozialer Zusammenhalt und gute öffentliche Schulen nicht entstehen, wenn man der FDP nachgibt. Auch in kirchlichen Milieus gibt es Menschen, die progressiv denken, aber mit der Religionsfeindlichkeit mancher Parteien nichts anfangen können. Solche Gruppen sind politisch heimatlos. Sie spricht Katrin Göring-Eckardt an. ULRICH SCHULTE