: Nach Großmutters Geheimrezept
Natur Im Hamburger Kräuterhaus in St. Georg gibt es über 600 Kräuter und Gewürze. Sie sollen die Gesundheit und das Wohlbefinden fördern. Laut Mitarbeiterin Tina Voermann sind Naturheilkunde und gesunde Ernährung wieder voll im Trend
von Milena Pieper
Mitten in St. Georg, nicht weit vom Hamburger Hauptbahnhof, führt ein Gang zu dem kleinen Laden, der sich zwischen Büros versteckt. „Kräuterhaus – Natur und Gesundheit“ steht auf dem grünen Schild über der Eingangstür. Und schon bevor sich die Tür öffnet, lässt der würzige Geruch erahnen, was dahinter zu erwarten ist: Der Duft von Salbei, Lavendel und Thymian wabert durch den Flur. Wonach es noch duftet, lässt sich nicht direkt bestimmen. Kein Wunder, denn über 600 verschiedene Kräuter und Gewürze lagern hier in den Regalen.
Auf der linken Seite ist ein kleiner Tresen, darauf die Kasse und eine Waage. Große Holzfässer mit den unterschiedlichsten Tee- und Kräutersorten stehen rundum. Auf einem Tisch liegen Tütchen mit Weizen- und Gerstengras. Drei Holzstufen führen zu weiteren Regalen. Von Curry über Bockshornklee bis hin zum arabischen Hackfleischgewürz ist alles zu finden.
Tina Voermann ist Ayurveda-Therapeutin und arbeitet seit fünf Jahren zwischen Kräutern und Gewürzen. Die dunkelbraunen Haare hat sie heute hochgesteckt. Vorsichtig schüttelt sie eins der Holzfässer und öffnet es. „Schweizer Feierabendtee“ steht auf dem Etikett. Melisse, Brombeere, Ingwer und Lavendel sind nur einige der Zutaten. Blaue Blüten mischen sich unter die getrockneten Kräuter, die eine beruhigende Wirkung haben sollen. Der Tee ist Voermanns Favorit.
Im Kräuterhaus können die Kunden sich die gewünschte Menge ihrer Lieblingskräuter abfüllen lassen und daraus einen Tee oder ein Fußbad aufgießen. Häufig kommen sie mit einem Rezept vorbei – vom Heilpraktiker oder auch von der Großmutter. Die meisten Kräuter kommen aus Europa, einige aus Indien, China oder aus den USA.
Auf den Etiketten stehen jeweils der deutsche und der lateinische Name. Letzterer sei manchmal wichtig, um die Kräuter unterscheiden zu können, erklärt Voermann. Beim Eisenkraut etwa, das gibt es in der medizinischen Variante und als „Eisenkraut duftend“. Die blassgrünen getrockneten Blätter sind viel größer als die der medizinischen Pflanze und duften nach Zitrone. Die Zitronenverbene, wie das duftende Kraut auch heißt, hilft bei Verdauungsbeschwerden und hat eine beruhigende Wirkung.
Und auch gegen fast alle anderen Beschwerden gibt es spezielle Kräuter. „Wir dürfen allerdings im Gegensatz zur Apotheke keine Tees anmischen“, sagt Voermann. Die Fässer erinnern trotzdem an die Ausstattung einer alten Apotheke. Sie seien der ideale Lagerort für die Kräuter, denn sie schützen vor Feuchtigkeit und lassen Luft zum Atmen, erklärt sie. „Sie sind über 110 Jahre alt, genau wie das Kräuterhaus“, sagt Voermann, die selbst jeden Abend einen Kräuertee trinkt.
Das Kräuterhaus wurde 1907 von Hermann Alois Mayer gegründet – damals noch unter dem Namen H. A. Mayer & Co. Mayer war Philosoph, Schriftsteller und Gesundheitsforscher mit großem Interesse an alternativen Heilmethoden. Er studierte Kräuterwissenschaften und stellte erste Zusammenhänge zwischen Stress im Alltag und der Gesundheit von Mensch und Tier her.
Seit seiner Gründung ist das Kräuterhaus ein Versandhandel für Heilpflanzen aus aller Welt. Zeitweise gab es fünf Läden in Hamburg, die unter dem Namen Kräuter-Mayer geführt wurden. Geblieben ist das in St. Georg versteckte Geschäft, das 2012 aus der Langen Reihe in die Parallelstraße Koppel gezogen ist.
Tina Voermann, Ayurveda-Therapeutin
Vor etwa 50 Jahren übernahmen Anke Maarck und Heinrich Lenzen den Laden. Seine Frau ist die Inhaberin, Lenzen ist Mayers Neffe und bis heute der Geschäftsführer. Jeden Tag kommt er vorbei und schaut im Kräuterhaus nach dem Rechten. Doch um die Kunden, Versand und Buchhaltung kümmern sich heute neun MitarbeiterInnen.
Tina Voermann ist damit groß geworden, dass Kräuter zum Kochen selbst gepflückt und getrocknet wurden. „Und meine Oma hat Ringelblumensalbe selbst gemacht“, sagt sie. Sie glaubt, dass dieser Trend heute wiederkommt. „Die Leute achten wieder mehr darauf, was sie zu sich nehmen“, sagt die 40-Jährige, die nach einem Praktikum im Kräuterhaus direkt dort blieb.
Vor dem Praktikum war ihre Vorstellung vom Publikum eher ein Klischee: „Ich dachte, die Leute seien älter, Großmütter, die sich ihr Haarwasser aus Kräutern mischen.“ Doch die Realität findet sie viel spannender.
Die Kundschaft im Kräuterhaus ist bunt gemischt, multikulturell, jung und alt. Es gibt viele Stammkunden und Voermann scheint ihre Arbeit viel Spaß zu machen. „Man lernt hier jeden Tag etwas dazu“, sagt sie. „Auch von dem, was die Kunden wissen.“ Wenn es voll ist, entstehen manchmal sogar kleine Diskussionsrunden.
Das Thema Gesundheit spielt bei vielen Kunden eine große Rolle. „Gesundheitstrip“ nennt Voermann das. So sind Veganer unter den Kunden, die auf der Suche nach alternativen Zutaten sind wie dem Pfeilwurzelmehl als Ersatz für Eier im Kuchen. Und es kommen Sportler und Manager, die ebenfalls fündig werden. Viele Zutaten können in Smoothies gemischt werden. Guarana-Pulver etwa, um die körperliche Leistung zu steigern. Die Maca-Wurzel ist als natürliches Viagra bekannt.
Viele der pflanzlichen Heilmittel werden als „Super Food“ bezeichnet – genau wie die Goji-Beere aus China, die momentan sehr gehypt wird. Voermann ist mit dem Begriff nicht ganz glücklich, denn auch heimische Beeren wie die Sanddorn- oder die Heidelbeere seien sehr gesund und hätten teilweise ähnliche Inhaltsstoffe wie die Entsprechung aus Asien.
In ihrer Abschlussarbeit hat die gelernte Ayurveda-Therapeutin sich mit der Frage beschäftigt, ob es europäische Pendants für Gewürze aus Indien oder China gibt. „Und die gibt es tatsächlich“, erzählt sie. So teilten manche die Vorstellung, dass es für unseren Körper gesünder sei, Kräuter oder Gewürze aus dem europäischen Raum zu uns zu nehmen, da unsere Gene das eher so vorgeben. Unter Voermanns Kunden sind viele, die beim Kochen sehr experimentierfreudig sind und verschiedene Gewürze ausprobieren.
Doch das Sortiment des Kräuterhauses geht über Heilmittel gegen die Beschwerden von Menschen hinaus. „Wir haben auch Tees für Pferde“, sagt Voermann. „Ankes Pferdehustentee“ ist am gefragtesten. „Früher haben die Pferde sich die Kräuter, die sie brauchten, selbst gesucht“, erklärt sie. „Aber heute gibt es nicht mehr so eine Vielfalt auf den Weiden.“ Wie bei einem Tee werden die Kräuter für die Vierbeiner aufgegossen und kommen dann mit dem Sud zusammen ins Futter. So sind auch einige Tierheilpraktiker unter den Kunden. Viele von ihnen würden auch größere Mengen über den Onlineshop bestellen, sagt Voermann.
Und auch wenn es im Kräuterhaus eigentlich nur Pferdetees gibt, kaufen manchmal auch Frauchen und Herrchen von Katzen, Hunden oder Meerschweinchen gemahlene Kräuter, um sie ihren Tieren ins Futter zu mischen. „Wir hatten sogar mal eine griechische Landschildkröte“, erinnert sich Voermann. „Die sollte eine ausgewogenere Ernährung bekommen.“ Ihr Besitzer sei mit einem Rezept vorbeigekommen und habe gleich 15 verschiedene Kräuter gekauft.
Voermann findet es gerade in der Großstadt wichtig, dass es Angebote wie im Kräuterhaus gibt, denn schließlich können Löwenzahn oder Brennnesseln nicht mal eben am Wegesrand gepflückt werden.
Und egal, ob für Mensch oder Tier, die Pflanzen müssen im Labor geprüft werden. Dabei gehe es etwa um die Schadstoffbelastung, erklärt Voermann. „Manche Kunden haben da noch die romantische Vorstellung, dass wir hinter dem Laden einen Kräutergarten haben und die Kräuter dort pflücken“, sagt sie. Doch das sei – auch aufgrund der Menge – nicht möglich. Stattdessen arbeitet das Kräuterhaus mit Großhändlern zusammen. Im Lager stehen die Kräuter in großen Säcken, werden hier für den Onlineversand verpackt und in die Holzfässer umgefüllt, die dann im Laden bereitstehen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen