taz. thema
: Altern Aktiv

die verlagsseiten der taz.die tageszeitung

Zeit für Neues

Veränderung Die neue Generation von Senioren ist nicht nur in der Freizeit aktiv. Auch für denberuflichen Ruhestand fühlen sich viele Ü60er zu jung. Immer mehr starten noch mal ganz neu durch

Lotti Meier Foto: Ralf Gantzhorn

Von Cordula Rode

Die Webseite „Rent a Rentner“ ist Plattform für Menschen über 50, die einen neuen Job suchen. Berufsstand und Ausbildung spielen dabei keine Rolle. Darüber hinaus gibt es auf dem „50 plus Blog“ Tipps rund um die Themen Arbeit, Rente und Versicherung. www.rentarentner.de

Auf der Webseite „Bildung mit 50“ findet man zahlreiche Informationen und Tipps rund um berufliche Weiterbildung und Seniorenstudium. Der Blog informiert über Auswanderung, Rente, Freizeit und vieles mehr. www.bildung-ab-50.de

Studienberatung für Ältere bietet der Akademische Verein der Senioren in Deutschland (AVDS). www.avds.de

Buchtipp: „Neustart mit 60. Anstiftung zum dynamischen Ruhestand“. Von Henning von Vieregge. Verlag Neue Ufer, 2016

„Jetzt erst recht!“ – Sich zur Ruhe zu setzen kommt für viele ältere Berufstätige nicht infrage. Die Zahl der Deutschen, die jenseits der Rentengrenze weiterarbeiten, ist laut Bundesarbeitsgemeinschaft der Senioren-Organisationen (BAGSO) in den letzten Jahren gestiegen. „Viele bessern sich ihre Pension durch 400-Euro-Jobs auf“, sagt Pressereferentin Ursula Lenz. Andere sähen den späten Lebensabschnitt „als Chance, endlich das zu machen, worauf sie wirklich Lust haben“. Älteren Menschen gehe es heute insgesamt besser als früher. Nicht nur das körperliche Befinden, auch die materielle Situation der Senioren habe sich deutlich verbessert. Der Generali Altersstudie 2017 zufolge (siehe links) ist es für die 65- bis 85-Jährigen zudem wichtig, gebraucht zu werden und am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben. Diese Faktoren bewegen einige dazu, ganz neue Wege einzuschlagen: etwa ein Ehrenamt übernehmen, ein Unternehmen gründen, an die Uni oder ins Ausland gehen.

Für Christoph Kruse (77) war der Übergang in den beruflichen Ruhestand eine schlimmes Erlebnis: Als Beamter der Bahn, für die er viele Jahre als Ingenieur der Fahrzeugtechnik gearbeitet hatte, wurde er im Zuge der Privatisierung ausgemustert. Und fiel in ein tiefes Loch: „Ich fühlte mich überflüssig.“ Ein Zufall eröffnete ihm neue Wege: Bei einem Spaziergang entdeckte er ein Schild des Nachhilfeinstituts Studienkreis. Das Unterrichten war Christoph Kruse nicht fremd. 15 Jahre lang hatte er als Dozent für die Bahn Fortbildungen im Bereich Personalführung gegeben. Die Idee erwies sich als Treffer: Seit elf Jahren arbeitet er freiberuflich als Nachhilfelehrer bei dem Institut. In Kleingruppen unterrichtet er Schüler in Mathematik und Physik und hat eine neue Erfüllung gefunden: „Die Tätigkeit ist eine echte Herausforderung, aber das ist auch gerade der besondere Reiz. Bedarfsgerechte und individuelle Unterrichtsplanung erfordert viel geistige Flexibilität. Ich genieße es. Ich werde gebraucht und kann etwas bewegen.“ Die Schüler wiederum profitieren von seiner Lebenserfahrung und Geduld. Wenn die Noten sich langsam verbessern, ist das für den Pensionär eine große Freude und Motivation. Kruses Familie stärkt ihm den Rücken: „Sie sind froh, dass ich endlich wieder zufrieden bin.“

Christoph Kruse Foto: Studienkreis Die Nachhilfe

„Auf dem Sofa sitzen kam für mich nicht infrage“, sagt auch die Hamburgerin Ellen Borstelmann (63). Nach dem frühen Tod ihres Mannes führte die gelernte Bankkauffrau dessen Einrichtungshaus, bis sie in Rente ging. Dann nahm ihre Laufbahn eine überraschende Wende: Eine Freundin hatte einen Bericht über Senioren-Models gesehen und überredete Ellen Borstelmann, sich bei der Agentur „Elbmodels“ zu melden. Daraufhin ging alles ganz schnell – es folgte eine Einladung zum Fotoshooting und bereits eine Woche später kam der erste Auftrag für ein namhaftes Unternehmen für Haarpflege. „Das war ein unglaublicher positiver Push“, berichtet Borstelmann. „Von null auf hundert. Und es macht einfach riesigen Spaß!“ Das aufwändige Schminken, das Posieren: „Man fühlt sich ein bisschen wie Kate Moss.“ Der erwachsene Sohn ist stolz auf seine attraktive Mutter und sieht sich alle Veröffentlichungen sofort an. „Alter ist relativ“, ist sich die Hamburgerin sicher, die sich durch Bewegung und gesunde Ernährung fit hält. Und man müsse offen bleiben für Neues: „Einfach schauen, was kommt, und es auch zulassen.“

Ellen Borstelmann Foto: Paul Mueller-Rode

Nicht nur neue Erfahrungen, sondern gleich ein ganz neues Leben in einem anderen Land – das ist der Weg, für den sich Lotti Meier entschied. Die gebürtige Schweizerin stand noch voll im Beruf als erfolgreiche Modezeichnerin, als sie beschloss, einen Neuanfang zu wagen. „Ich wollte mit 60 nicht mehr Unterwäsche entwerfen. Es war einfach Zeit für etwas ganz Neues.“ So packte sie ihre Sachen und wanderte nach Schweden aus, in ein Land, das sie nie zuvor besucht hatte. Leicht war das nicht, erinnert sich die heute 63-Jährige: „Wenn ich damals gewusst hätte, was mich erwartet und wie viel Kraft es mich kostet, hätte ich es nicht getan.“ Und doch ist sie heute froh über ihre Entscheidung, denn: „Ich bin nun genau da, wo ich hingehöre.“ Und das ist das „Snowtrail Dogcamp“ in Lappland, das Lotti Meier eigenständig aufgebaut hat. Mit ihren 90 Huskys bietet sie Schlittenhunde-Trails und Entdeckungsreisen in die wilde Landschaft an. „Ich mache alles mit dem ganzen Herzen! Früher bin ich ungeschminkt nicht mal zur Toilette gegangen. Und jetzt lebe ich das andere Extrem: Natur pur und Freiheit.“