piwik no script img

Witzchen im Nebel

Theater Molières „Tartuffe“ ist am Goetheplatz auch mit hervorragender Besetzung und brillianten Ansätzen eine ziemliche Quälerei. Weil er nicht weiß, was er eigentlich wollte

von Jan-Paul Koopmann

Dabei ging es doch so gut los. Dieses Bühnenbild, das Daniela Herzberg dem „Tartuffe“ ins Bremer Theater gebaut hat, ist zum Beispiel richtig toll. Das ist so ein Haus mit bungalowartigen Klötzen im Obergeschoss, die das Familienleben in Einzelhaften fragmentieren: Ein herrlich beklemmender Bunker für das psychologische Familiendrama unterhalb der alten Komödie. Und so funktioniert Molières „Tartuffe“ in Bremen dann auch eine Weile ganz gut – bis zum Slapsticksuizidversuch der zwangsverheirateten Tochter, der gerade darum überhaupt nicht mehr lustig sein kann, obwohl Karin Enzler die Verrenkungen ziemlich gut hinbekommt.

Überhaupt: An den SchauspielerInnen hat der verpatzte Abend auch sonst nicht gelegen. Die haben ja alles gut bis streckenweise herausragend gemacht. Vor allem Simon Zigah changiert in der Titelrolle so trittsicher zwischen verführerischem Satan und Hanswurst, dass man doch eine Idee davon bekommt, warum man sich den alten Schinken noch gleich ansehen wollte. Zigah/Tartuffe ist eine urböse Macht, die ins bürgerliche Familienleben eindringt und sich den Hausherrn ausgerechnet mit christlich-frömmelndem Getue gefügig macht und noch beim lasziven Zwinkern schmatzt.

Erstaunlich ist, dass dieser Schurke seine Verführten dabei nicht an die Wand spielt. Im Gegenteil sind ihm die Unterworfenen in gleich beiden brutalen Romanzen ebenbürtig. Unübersehbar ist das gerade in den amourösen Momenten, als Tartuffe den Orgon (Guido Gallmann) knutscht und dessen Frau Elmire (Annemaaike Bakker) leckt, die ihm auf dem Gesicht hockt und dabei jauchzt, dass es einem die Schamesröte ins Gesicht treibt. Tatsächlich geht hier noch so ein entrüstetes Raunen durchs Parkett, während der Männerkuss mit gejubeltem Szenenapplaus goutiert wird.

Dass unterm Strich dann aber doch ein bestenfalls überflüssiger Theaterabend herauskam, ist so sonderbar wie tragisch. „Da zieht das Abo lange Gesichter“, freut sich Zigah kurz aus der Rolle fahrend – „da vermischen sich Ebenen!“ Aber genau das tun sie eben nicht, und das ist auch das ungelöste Problem dieser Inszenierung von Samuel Weiss. Da läuft der eingangs so bitterböse in Szene gesetzte Familienvater-Terror völlig vorbei an der Christengeschichte mit ihrer satanisch-katholischen Bildsprache, während beide noch vom Humor sabotiert werden, der in einer Tour beliebige Pointen in den Saal bläst.

Familienhorror, Religionskritik und Humor laufen nur sinn- und ideenlos aneinander vorbei

Lange Gesichter hat das „Abo“ im Übrigen auch gar nicht gezogen, sondern fröhlich vor sich hingegiggelt. Es ist ja auch ungemein erfrischend, wenn da oben wer steht und den Umbau aufpeppt, indem er die Bühnenhandwerkerin als „Muschi“ anmacht, oder ihrem Kollegen der Hautfarbe wegen damit droht, er müsse sofort einen Zacken zulegen, oder er sei schneller weg, als er „Banane“ sagen könne. Tja.

Hätte man hier noch etwas nachgelegt, der Molière hätte zumindest als bösartige Parodie aufs Stadttheater begeistern können. Einen solchen Versuch gibt es sogar: Als das durchs väterliche Verbot entzweite Liebespaar sich in Verzweiflung und hilfloser Eifersucht die Kleider vom Leib reißt, ins Publikum steigt und sich ZuschauerInnen an den Hals wirft – da werden sie schließlich und endlich von der (übrigens auch sonst ganz wundervollen) Zofe (Susanne Schrade) zurückgepfiffen, die kurz das Reimen sein lässt und schnauzt: „Das ist so 80er!“ Aber das bleibt, wovon es hier schon zu viel gab: ein lustiger Spruch.

Und dann fragt man sich schon irgendwann, warum Weiss seinen Molière – wenn denn schon – nun auf gerade diese Weise eindampfen musste. Schnittiger ist er jedenfalls nicht geworden, klüger auch nicht und pointierter schon gar nimmer. Er hat sich in einen Sprühregen aus angedeuteter Religionskritik verwandelt, aus Irgendwas mit Moral, Psychologie, Negersprüchen und Metawitzchen. Im Verlauf 100 langer Minuten wird ein Kontextrauschen daraus, in dem sich letztlich jede nur denkbare Lesart unweigerlich verirren muss. Und das ist wirklich schade.

Nächste Termine: 12. Mai, 19.30 Uhr; 14. Mai, 18 Uhr; 20. Mai, 19.30 Uhr, Theater am Goetheplatz

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen