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Archiv-Artikel

Geißler und die Betonköpfe

Heiner Geißler (CDU) setzt auf Schwarz-Grün. Ministerpräsident Kretschmann sei seit Langem dazu bereit, sagt Geißler im Kontext-Interview. Der einstige Stuttgart-21-Vermittler besteht darauf, dass die Bahn AG die von ihm vorgeschlagenen Verbesserungen umsetzt. Und er sieht noch Chancen, dass eine Kombination aus Kopf- und unterirdischem Tiefbahnhof gebaut wird

von Hermann G. Abmayr (Interview)

Herr Geißler, als Attac-Mitglied sind Sie sozusagen auch globalkritisch unterwegs. Reden wir zunächst darüber, ob die Ideen von Attac irgendwo ihren Niederschlag gefunden haben.

Die Bundesregierung hat erreicht, dass elf Staaten der Europäischen Union die Einführung der Finanztransaktionssteuer beschlossen haben. Dies ist auch ein Sieg von Attac, einer Organisation, die zu diesem Zweck gegründet worden ist. Sie ist über Jahre verlacht worden. Das ist eine Blamage für die Wirtschaftswissenschaften, die mit der Finanzbranche gegen den damals Tobin-Steuer genannte Attac-Vorschlag polemisiert haben– im Dienste der Investment- und der Großbanken.

Auch der S-21-Gegner Hannes Rockenbauch, den Sie vom Faktencheck und vom Stresstest her kennen, hat die Banken scharf kritisiert. Unter anderem wegen ihrer Spekulation mit Nahrungsmitteln.

Ich weiß nicht, was er genau gesagt hat. Aber grundsätzlich ist die Spekulation mit Grundnahrungsmitteln kriminell.

Rockenbauch hat genau dieses Wort verwendet.

Da hat er recht. Man muss aber die Sparkassen und die Genossenschaftsbanken ausnehmen. Sie waren nicht die Verursacher der Finanzkrise. Sie haben sich im Wesentlichen richtig verhalten– als ehrbare Kaufleute.

Soziologen sprechen von der Postdemokratie. Viele Menschen fühlen sich nicht mehr durch die Politik vertreten.

Den Begriff Postdemokratie will ich nicht übernehmen. Wir leben in einer Zeit, in der die bisherige Form der Demokratie, die repräsentative Demokratie, ergänzt werden muss durch eine direkte Bürgerbeteiligung. Das ist noch lange nicht realisiert, obwohl im Grundgesetz genau dies auch vorgesehen ist.

Baden-Württemberg wird jetzt gern als Labor bezeichnet. Manche sprechen seit der jüngsten OB-Wahl von einer „grünen Republik“. Welche Signale könnten von Stuttgart ausgehen?

Die Denkblockaden bei der CDU und den Grünen sollten endlich gelöst werden. Es ist nicht intelligent von der CDU, sich bei Koalitionen nur auf eine Partei festzulegen. Auf eine FDP, von der man nicht weiß, wie lange sie noch existiert. Die CDU könnte in Baden-Württemberg nach wie vor an der Regierung sein, wenn sie das Verhältnis zu den Grünen entkrampft hätte. Denn die Grünen – mit Kretschmann vor allem – waren doch seit Langem bereit, eine schwarz-grüne Koalition einzugehen. Auf der Bundesebene aber und in anderen Ländern gibt es dieselben Betonköpfe auch bei den Grünen.

Ministerpräsident Kretschmann hat mehr Beteiligung versprochen. Umgesetzt hat er bisher kaum etwas.

Kretschmann kann auch nicht alles auf einmal machen. Mit der SPD hat er einen Koalitionspartner, der nicht gerade in einer blendenden Verfassung ist. Da geht es ihm wie Angela Merkel mit den Freien Demokraten. Die sind mehr ein Hemmschuh in der Regierung.

Sie haben nach dem Faktencheck vor zwei Jahren Stuttgart 21 plus empfohlen. Doch kaum einer Ihrer Vorschläge wurde seither umgesetzt. Nicht einmal den Brandschutz hat die Bahn verbessert. Von der direkten Gäubahn-Verbindung nach Zürich ist keine Rede mehr, von einem neunten oder zehnten unterirdischem Gleis auch nicht.

Die Bahn, das Land und die Stadt sind gehalten, die von mir vorgeschlagenen Verbesserungen zu realisieren. Denn damit waren alle einverstanden. Weder die damalige Landesregierung noch die Bahn, noch die Stadt haben dem widersprochen. Zum Thema neuntes und zehntes Gleis habe ich noch keine Stellungnahme der Bahn. Es gibt aber erhebliche Zweifel, ob das technisch gemacht werden kann. Aber zugelassen haben es damals beide Seiten. Doch einige der Punkte, die ich vorgeschlagen habe, wurden bereits umgesetzt oder zumindest in die Wege geleitet. Die auf dem Gleisgelände frei werdenden Grundstücke werden in eine Art Stiftung überführt. Sie dürfen also nicht auf dem freien Markt verscherbelt werden. Auch hat man mit dem Mediationsverfahren eine Lösung für die Bäume gefunden. Außerdem wurde der Stresstest über die Leistungsfähigkeit des geplanten Tiefbahnhofs durchgeführt.

Die Projektbefürworter sagen, nach der Volksabstimmung vom November 2011 solle jetzt endlich gebaut werden.

Die Volksabstimmung kann unmöglich zum Inhalt gehabt haben, dass man einen Bahnhof baut, bei dem Rollstuhlfahrer und Frauen mit ihrem Kinderwagen gar nicht mehr ins Freie kommen, wenn's brennt. Stuttgart 21 plus war indirekt auch der Inhalt der Volksabstimmung, nicht die ursprüngliche Planung.

Sie haben bei Bahnchef Rüdiger Grube erst jüngst wegen des mangelhaften Brandschutzes interveniert. Was hat er gesagt?

Herr Grube und Technikvorstand Kefer haben mir geantwortet, dass eine endgültige Brandschutz-Planung noch nicht fertig gestellt sei und die Bahn die Voraussetzungen für einen effektiven Brandschutz – auch für Behinderte und Frauen mit Kindern – gewährleisten werde. Wie Sie wissen, hat die Bahn in Stuttgart ja noch nicht einmal angefangen, richtig zu bauen.

Der von Ihnen 2011 vorgeschlagene „Kombibahnhof“ nach dem Züricher Modell wäre ein klassischer Kompromiss gewesen. Also ein halbierter oberirdischer Bahnhof und vier unterirdische Gleise. Doch Kanzlerin Merkel und ihr Verkehrsminister Ramsauer wollen nicht einmal darüber reden.

Es ist überhaupt nicht ausgeschlossen, dass die Projektträger aus rechtlichen und finanziellen Gründen auf den Kombibahnhof zurückkommen werden. Er ist um 1,5 Milliarden billiger als der Tiefbahnhof. Ein Nachteil besteht darin, dass beim Kombibahnhof das Gleisgelände nur zu einem geringeren Umfang für eine Bebauung frei würde. Deswegen hat sich die Stuttgarter Stadtverwaltung nie dafür ausgesprochen. Aber das kann ja nicht das einzige Entscheidungskriterium sein.

War die Entscheidung, einen Faktencheck zu machen, aus heutiger Sicht richtig? Würden Sie es wieder tun?

Ja, denn damit haben wir die Grundlage für die Volksabstimmung geschaffen, die zur Konfliktlösung der letzte und auch der richtige Weg war.

Nebenbei gefragt: Wie hoch war eigentlich Ihr Honorar für die Schlichtung?

Weder ich noch meine Mitarbeiter haben ein Honorar oder sonst irgendeine Entschädigung bekommen. Die Hotelkosten wurden übernommen, die Fahrtkosten habe ich selber bezahlt. Zudem habe ich dafür gesorgt, dass das Land für die Projektgegner 500.000 Euro im Landesetat eingestellt hat. Diese Summe haben sie für ihre Gutachten und Sachverständigen verbraucht. Das war ein ganz gezielter Vorschlag von mir, weil sonst eine Diskussion auf Augenhöhe gar nicht möglich gewesen wäre.

In Stuttgart hat die CDU mit der verlorenen OB-Wahl die dritte Niederlage in Folge erlebt. Was hat sie falsch gemacht?

Die CDU muss wieder eine richtige Volkspartei werden und die richtigen Inhalte haben. Sie ist in Baden-Württemberg auch wegen der Energiepolitik unglaubwürdig geworden. Die damalige Landesregierung unter Mappus hatte sich so einseitig auf die Kernenergie festgelegt, dass der Rückzug nicht mehr glaubhaft war. Aber ich möchte auch daran erinnern, dass die CDU bei der Landtagswahl nur um Haaresbreite geschlagen worden war. Es hat nur ein Prozent gefehlt, dann wäre die Regierungsbildung anders verlaufen.

Hermann G. Abmayr hat Heiner Geißler zuletzt im November 2010 für seinen Dokumentarfilm „Stuttgart steht auf – Porträt einer neuen Demokratiebewegung“ befragt.