Jahrestag des Armenier-Genozids: Vereint in der Leugnung
Ankara leugnet den Völkermord noch immer. Und auch in Deutschland übernehmen viele türkische Verbände diese Haltung, ohne auf Gegenwind zu stoßen.
Jedes Jahr am 24. April gedenken weltweit Menschen des Völkermords an den Armeniern von 1915 in der osmanischen Türkei. In diesem Jahr ist in Deutschland etwas anders.
Mit der Verabschiedung der Armenien-Resolution im vergangenen Jahr haben alle Parteien im Bundestag die planmäßige Vernichtung von 1,5 Millionen Armeniern und weiteren hunderttausenden Aramäern/Assyrern und Pontusgriechen als Völkermord eingestuft – und damit ein wichtiges Zeichen gesetzt. Die Bundesregierung scheint diese Selbstverständlichkeit jedoch noch nicht akzeptieren zu können.
Ihre unterwürfige Haltung hat sie dadurch bewiesen, zunächst aus der Armenien-Resolution das Wort Völkermord verbannen zu wollen. Dann haben die Bundeskanzlerin, der Vizekanzler und der damalige Außenminister Steinmeier während der Verabschiedung der Resolution durch ihre Abwesenheit geglänzt.
Später hat die Bundesregierung in einer durchsichtigen Aktion einer türkischen Forderung nachgegeben und geäußert, die Resolution sei nicht rechtlich bindend. Der Gehorsam, den vor hundert Jahren der Reichskanzler und seine kaiserlichen Diplomaten im Osmanischen Reich an den Tag legten, blitzte wieder auf.
1976 geborener Rechtsanwalt, aktiv in der armenischen Community in Deutschland. Er ist Mitglied in der zivilgesellschaftlichen Initative anerkennung-jetzt und beschäftigt sich mit der politischen und gesellschaftlichen Anerkennung des Genozids in Deutschland. Er schreibt und hält regelmäßig Vorträge zu den Themen Genozid an den Armeniern, Türkei und Menschenrechte.
Damals ordnete Reichskanzler Theobald von Bethmann Hollweg an: „Unser einziges Ziel ist, die Türkei bis zum Ende des Krieges an unserer Seite zu halten, gleichgültig ob darüber Armenier zugrunde gehen oder nicht“. Anstatt Einzugreifen und die Vernichtung der Armenier zu verhindern, begnügten sich die Deutschen Diplomaten und Militärs an der Seite der verbündeten osmanischen Türkei mit der inaktiven Rolle des Protokollanten des armenischen Untergangs.
Nach Völkermördern benannte Schulen
„Wer spricht heute noch von der Vernichtung der Armenier?“, fragte Hitler rhetorisch, kurz vor dem Überfall auf Polen. So wie Hitler darauf vertraute, dass die Weltöffentlichkeit der Vernichtung eines Volkes nichts entgegensetzen würde, versucht die Türkei seit ihrer Gründung, das Verbrechen an den Armeniern abzustreiten und mit aggressiven Mitteln zu leugnen. Das unsichtbare Band zwischen den Tätern des Völkermordes im Osmanischen Reich und der modernen Türkei unter Atatürk bis zu Erdoğan ist nicht durchtrennt. Es existiert bis heute.
Nach den Völkermördern werden auch heute noch Schulen, Plätze und Straßen benannt. Die Ehrengräber von Djemal, Enver und Talaat im Zentrum Istanbuls sind Ausflugsziele für Schüler. Alle drei hatten sich mit Hilfe des verbündeten Deutschland nach dem Zusammenbruch des Osmanischen Reiches abgesetzt und lebten zeitweise unter falschem Namen in Berlin. Sie waren zuvor von einem osmanischen Gericht wegen der Vernichtung der armenischen Untertanen zum Tode verurteilt worden.
Der Spiritus Rector der Vernichtung, Talaat Pascha, wurde in Berlin von dem armenischen Studenten Soghomon Tehlirian auf offener Straße erschossen. Im Zuschauerraum des Strafprozesses verfolgte der junge Rechtsstudent Raphael Lemkin den Prozess. Lemkin ist der Vater der UN-Völkermordkonvention und nahm die Vernichtung der Armenier und Juden zur Blaupause seiner Genozid-Konvention, um das Wort „Völkermord“ juristisch zu formen.
Einigkeit in der Leugnung
Einige Jahre zuvor, am 24. Mai 1915, hatten schon England, Frankreich und Russland in Bezug auf die massenweise Vernichtung der Armenier erstmals von „Crime against Humanity“, also Verbrechen gegen die Menschlichkeit, gesprochen. Dieser Grundsatz gilt bis heute im Völkerstrafrecht, auch wenn bis dato die Armenier um die weltweite Anerkennung gegen die staatliche Leugnung der Türkei kämpfen.
Diese Leugnung Ankaras wird auch in Deutschland gepflegt. Türkische Vereine und Verbände haben die Haltung Ankaras übernommen und versuchen sie auch in Deutschland fortzusetzen. Anders als beim aktuellen Referendum gibt es keine gegensätzlichen „Evet“ und „Hayır“-Lager. Unabhängig davon, welcher politischen Stoßrichtung jemand angehört– ob Anhänger der Regierungspartei oder der kemalistischen und neofaschistischen Opposition: Es besteht Einigkeit in der Frage des Genozids an den Armeniern. Für die Mehrheit der Türken hat es ihn nicht gegeben.
Diese Meinung wird von der DITIB, ATIB und UETD über die Atatürkvereine, die türkischen sozialdemokratischen Vereine bis hin zur Türkischen Gemeinde Deutschlands (TGD) über die jeweiligen politischen Grenzen hinweg geteilt.
Die Leugnung wird von diesen Organisationen auch politisch durchgesetzt – und das schon seit Jahrzehnten. Keine Veranstaltung zum Völkermord an den Armeniern an einer deutschen Universität, Volkshochschule, einem Bildungsträger oder einer Kirchengemeinde, die nicht von einem ermahnenden Schreiben des örtlichen türkischen Konsulats begleitet wird. Und deutsch-türkische Vereine und Ableger der Verbände bauen wiederum weiter Druck auf die Veranstalter aus, wenn es darum geht, eine Veranstaltung – egal ob Vortrag, Ausstellung oder Lesung – zum Genozid an den Armeniern abzuhalten.
Verhindern von Mahnmalen
Vielfach müssen diese Veranstaltungen unter Polizeischutz abgehalten werden, weil die Reaktionen mitunter heftig und bedrohlich ausfallen. All dies wird hier in Deutschland von türkischen Vereinen durchgeführt, die die Leugnungsideologie Ankaras übernommen haben und der Mehrheitsgesellschaft ihr Bild aufdrücken möchten. Das gleiche passiert auch in Integrationsräten, wenn die „armenische Frage“ virulent wird.
Politik, Kirche und Gesellschaft haben sehr lange beide Augen zugedrückt und solche Verhaltensweisen toleriert. Mehr noch: Es wurde sogar durch Fördermittel für DITIB, die TGD und für andere Organisationen der Aufbau von Parallelstrukturen und damit auch die Zementierung der Genozid-Leugnung Vorschub geleistet – ganz im Sinne von Ankara.
In der Kölner Keupstraße, dem Ort des Nagelbombenanschlages der NSU, findet das „Birlikte“-Festival statt, an dem zahlreiche Künstler und auch der Bundespräsident auftraten und sich gegen Ausgrenzung und Rassismus aussprachen. Zur gleichen Zeit, in der sich die Verantwortlichen der IG Keupstraße für ihren Einsatz gegen den deutschen Rechtsradikalismus und Rassismus feiern lassen, arbeiten sie heute mit weiteren 40 türkischen Vereinen daran, ein Mahnmal zum Völkermord an den Armeniern zu verhindern.
Dieselben Menschen protestierten auch schon vor zwei Jahren gegen die Resolution des Bundestages, den Völkermord an den Armeniern nach 101 Jahren endlich auch als Völkermord zu bezeichnen.
Nicht im Sinne deutscher Aufarbeitung
Doch obwohl die IG Keupstraße und andere Organisationen aktiv die Leugnung eines Menschheitsverbrechens propagieren, haben sie gesellschaftlich keine Konsequenzen zu fürchten. Man scheint auf diesem Auge blind zu sein – auch wenn es im Widerspruch zu den deutschen Nachkriegserfahrungen steht.
Diese ist eben nicht durch Ausblenden geprägt, sondern durch die Aufarbeitung und das Bekenntnis, die Opfer und ihre Nachfahren zu achten und nachfolgenden Generationen für das in deutschem Namen zugefügte Unrecht zu sensibilisieren. Das ist gesellschaftlicher Konsens und entspricht der politischen Kultur Deutschlands. Die Prüfung und Sichtbarmachung der Gefahren eines radikalisierten Islamismus und Rassismus in türkischen Migrantenverbänden ist längst überfällig.
Ist die Leugnung des Genozids an den Armeniern weniger ernst zu nehmen, nur weil sie nicht von deutschen Nationalisten ausgeht? Wieso kann in Deutschland ein Holocaustleugner ins Gefängnis kommen, aber ein Leugner des armenischen Holocausts nicht?
Jede Leugnung schlägt weitere Wunden, denn sie ist ein direkter Angriff auf das Erinnern an die Verbrechen. Leugnung will das Gedenken an die Opfer unmöglich machen und die Täter rehabilitieren. Hier sind daher alle gleichermaßen gefordert. Politik, Kirche und Gesellschaft dürfen nicht nach der Herkunft und dem Pass unterscheiden, wenn es um die Leugnung eines Menschheitsverbrechens geht.
Den Bildungseinrichtungen kommt die Aufgabe zu, die Vernichtung der Armenier als Teil der Aufarbeitung der eigenen Geschichte und als Teil der Geschichte ethnischer Konflikte im 20. Jahrhundert in die Lehrpläne aufzunehmen. Arbeiten wir gemeinsam daran, dass die historische Resolution des Deutschen Bundestages zur Anerkennung des Genozids an den Armeniern und anderen christlichen Minderheiten nicht in den Archiven verstaubt, sondern mit Leben gefüllt wird. In den Schulen, an den Universitäten und in der Gesellschaft.
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