: Ralf Stegners letzter Stich
Schleswig-Holstein Nach dem Wahldebakel der SPD und dem Rücktritt auf Raten von Nochministerpräsident Torsten Albig steht das Schicksal des langjährigen Parteichefs Ralf Stegner zur Debatte. Auch seine Demission wird kommen, aber noch nicht jetzt
von David Joram und Sven-Michael Veit
Eine Frage stellt sich zurzeit sogar die SPD in Schleswig-Holstein: Was unterscheidet Ralf Stegner von Fußpilz? Offensichtlich nichts, lautet die häufigste Antwort, beide seien in etwa gleich unbeliebt. Im SPD-Umfeld gibt es zudem Menschen, die eine Stegneritis prognostizieren. Eine Partei-Erkrankung, die einer, der nicht genannt werden will, so beschreibt: „Er hält sich für unersetzlich und setzt sich mit der Partei gleich. Wenn sich einer gegen ihn stellt, empfindet er ihn als Feind.“
Seit zehn Jahren lenkt Ralf Stegner als SPD-Landeschef die Geschicke und auch den Wahlkampf seiner Partei. Dass die krachende Niederlage bei der Landtagswahl am 7. Mai auch eine des profilierten Parteilinken ist, wagen aber nur wenige schleswig-holsteinische Sozialdemokraten laut auszusprechen. Tatsache indes ist, dass unter Stegners Führung in den vergangenen drei Wahlen die jeweils schlechtesten Ergebnisse in Schleswig-Holstein in mehr als 60 Jahren erzielt wurden.
Und so stellen sich drei Fragen. Erstens: Ist es vorstellbar, dass Stegner tatsächlich persönliche Konsequenzen aus dem mageren Wahlergebnis (27,2 Prozent) und dem gescheiterten Ziel einer Ampelkoalition zieht und als Landesparteichef zurücktritt? Zweitens: Wie stark ist überhaupt die Anti-Stegnerschaft in der SPD? Und drittens: Wer könnte ihm denn als LandeschefIn nachfolgen?
Als sicher gilt, erstens: Stegner wird kurzfristig nicht zurücktreten, obwohl auf einer Parteikonferenz mit rund 200 Mitgliedern in Kiel entsprechende Forderungen formuliert wurden, allerdings von einer klaren Minderheit. Als passionierter Skatspieler weiß Stegner, wie man einen Grand selbst ohne Buben gewinnt. Er wird kämpfen bis zum letzten Stich. Denn der Mann ist der fleischgewordene Politikbetrieb und noch dazu ein kluger Kopf. Eine künftig opponierende SPD, die ihrem Fraktionsvorsitzenden vorher den Landesvorsitz entzogen hat, würde sich wohl keinen Gefallen tun.
„Jetzt die Pferde zu wechseln, ergibt keinen Sinn“, sagt eine prominente Genossin. Wenn überhaupt, könne dies nur in einem „geordneten Verfahren“ geschehen. Anfang 2019 stünden turnusgemäß wieder Vorstandswahlen an. Von Stegner gebe es Signale, dass er dann nach mittlerweile zwölf Jahren als Vorsitzender „eine Verjüngung der Parteiführung“ nicht ausschließen wolle.
So sehen das, zweitens, mehrheitlich wohl auch die Delegierten des Landesparteitags. Insider urteilen, dass Stegner etwa zwei Drittel hinter sich habe. In der breiten SPD-Basis, deren Mitglieder in Wahlkampfzeiten rote Flyer auf Marktplätzen verteilen, sei es eher umgekehrt. Gestärkt – offiziell jedenfalls – wurde Stegner zumindest von seiner Fraktion, die ihn mit 21 von 21 Stimmen – also inklusive seiner eigenen – erneut zum Vorsitzenden wählte.
Mit Blick auf die NachfolgerInfrage kann sich Stegner einen Landesverband ohne Stegner jetzt noch nicht vorstellen. Allerdings: Der 57-Jährige verkennt die Zeichen der Zeit nicht und zieht daraus Schlüsse. Einer dürfte sein, dass er sich zeitnah selbst seine NachfolgerIn aufbaut.
Über Koalitionsverhandlungen mit CDU und FDP sollte am Dienstagabend ein Parteitag der Grünen in Neumünster entscheiden. Sollten die Delegierten das ablehnen, drohen Neuwahlen in Schleswig-Holstein.
Wie hoch die Hindernisse sind, zeigt ein Antrag des mitgliederstarken Kreisverbands Lübeck: Er will den Ausstieg aus dem Projekt Fehmarnbelttunnel zur Voraussetzung für eine Koalition machen – für CDU und FDP unannehmbar.
Der Parteirat, das Führungsgremium der Nord-Grünen, hatte sich am Montagabend für Verhandlungen über ein sogenanntes Jamaika-Bündnis ausgesprochen. Das Votum fiel mit neun Jastimmen bei einer Gegenstimme und einer Enthaltung deutlich aus.
Einen aktuellen Bericht zur Entscheidung des grünen Parteitags finden Sie auf www.taz.de/nord.
Für die Spitzenkandidatur bei der Landtagswahl in fünf Jahren gilt das auf jeden Fall. Auf der Parteikonferenz am Montag schlug Stegner vor, in diese Wahl mit einer Spitzenkandidatin zu gehen. Denn er selbst, das hat er längst akzeptiert, hat keine Chance, bei einer Landtagswahl zum Regierungschef zu avancieren. Deshalb kam vor wenigen Monaten in Kiel das Gerücht auf, Ministerpräsident Torsten Albig würde im Falle seiner Wiederwahl nach einem Jahr amtsmüde an Stegner übergeben, sodass der 2022 aus dem Amt heraus antreten könnte.
„Heißer Scheiß“ sei das, kommentierte damals ein Insider – und weigerte sich zugleich, das Gerücht zu dementieren. Jedoch: Nach der Wahlklatsche am 7. Mai hat sich dieses taktische Manöver eh erledigt.
Sollte es in Schleswig-Holstein zu einer schwarz-grün-gelben Jamaika-Koalition kommen (siehe Kasten), blieben der SPD einige Jahre zur Erneuerung in der Opposition und zur Profilierung einer Spitzenkandidatin. Heißeste Favoritinnen: die Ex-Abgeordnete und aktuelle Flensburger Oberbürgermeisterin Simone Lange (40) und die Fraktionsvize im Landtag, Serpil Midyatli (41) – laut Stegner „einer der politischen Vulkane, die wir haben“.
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