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Protest gegen Homann-WerksverlagerungKartoffelsalat ist umzingelt

Im niedersächsischen Dissen haben Tausende gegen den möglichen Umzug der Homann-Werke protestiert. Geht der Feinkosthersteller, sind auch über 1.000 Jobs weg.

Von Tausenden Demonstranten umstellt: Stammwerk des Feinkostherstellers Homann im niedersächsischen Dissen. Foto: Anne Reinert

Dissen taz | Heiner Prell gibt den Einheizer. „Zehn Minuten noch“, feuert der Vorsitzende des Dissener Stadtrates die Demonstranten in den Straßen um das Homann-Werk an. Tausende bilden an diesem Sonntagmittag eine fast zwei Kilometer lange Menschenkette um das Stammwerk des Feinkostherstellers. Homann-MitarbeiterInnen, Familien und PolitikerInnen aller Parteien beteiligen sich an diesem symbolischen Schulterschluss. Sie alle wollen, dass Homann bleibt.

Vor 140 Jahren wurde das Unternehmen im niedersächsischen Disssen gegründet, bis heute ist hier das Stammwerk. Aber Homann ist heute ein Tochterunternehmen des Müller-Konzerns und der will das Werk und drei weitere Standorte im sächsischen Leppersdorf bündeln. Die Wut der Dissener ist groß und rund 4.000 Menschen kommen laut Veranstalter zur Kundgebung vor dem Rathaus und zur Menschenkette. Die Polizei spricht von 2.500 Teilnehmern.

Über tausend Jobs stehen auf dem Spiel

Allein in Dissen verlören 1.200 Menschen ihren Job, wenn das Werk hier schließt. 300 weitere wären es im nahe gelegenen Bad Essen-Lintorf. Müller hat den MitarbeiterInnen zwar angeboten, mit nach Sachsen zu wechseln. Der Betriebsratsvorsitzende Andreas Straede schätzt aber, dass „höchstens 30 oder 40 mitgehen“ würden. Schließlich haben viele ihre Häuser in Dissen oder in den benachbarten Gemeinden. Dazu kommt, dass in Leppersdorf niedrigere Löhne gezahlt werden.

Müller und die Subventionen

Kassiert Theo Müller für den Umzug seines Unternehmens von Dissen in Niedersachsen nach Leppersdorf in Sachsen Subventionen in Millionenhöhe? Ein Antrag wurde bisher nicht gestellt, wird derzeit aber vermutlich geprüft.

Neu wäre diese Methode für Konzernchef Theo Müller nicht. Der hat zwar seinen eigenen Wohnsitz aus steuerrechtlichen Gründen in die Schweiz verlegt. Profitieren will er mit seinem Unternehmen von Steuern offenbar trotzdem.

Schon 2009 sollen Fördergelder nach Leppersdorf geflossen sein, wo Müller nach eigenen Angaben „Europas modernste Molkerei“ betreibt. 70 Millionen Euro an Zuschüssen sollen die EU und Sachsen gezahlt haben.

Spruchreif ist der Umzug aber noch nicht. Man habe 40 Standorte in Europa geprüft. Leppersdorf sei die „favorisierte Lösung“ – mehr will die Müller Group derzeit nicht mitteilen. Auch nicht, ob sie Subventionen prüfen lässt. Eine Möglichkeit, die Theo Müller am Standort Leppersdorf in der Vergangenheit bereits nutzte (siehe Kasten).

Auf der Kundgebung vor dem Dissener Rathaus wird gegen Theo Müller und seinen Konzern gewettert. VertreterInnen der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten stehen dort, der Dissener Bürgermeister Hartmut Nümann (SPD), VertreterInnen von SPD und CDU bis hoch zur Bundesebene. Auch der niedersächsische Wirtschaftsminister Olaf Lies (SPD) ist gekommen. „Wo bleibt denn der Anstand?“, fragt Lies und spielt auf einen Tarifvertrag an, den Müller erst im vergangenen Sommer mit den Homann-MitarbeiterInnen geschlossen hatte und der bei den Dissenern die Hoffnung schürte, der Feinkosthersteller würde bleiben.

Dissen fühlt sich bereit

Dabei war schon länger klar, dass Homann einen neuen Standort sucht. Vor zwei Jahren erfuhren die Stadt Dissen und der Landkreis Osnabrück „per Zufall“ davon, wie Landrat Michael Lübbersmann (CDU) sagt. Die Dissener Verwaltung reagierte und beschleunigte die Planung für ein Gewerbegebiet.

Dissens Infrastruktur wäre also bereit für einen größeren Homann-Standort. Das wird auch bei der Kundgebung betont: Die Stadt hat die nötigen Wasserrechte, die Autobahn 33 ist gleich vor der Haustür und zum wichtigen Absatzmarkt Ruhrgebiet ist es nicht weit.

Unter all die Zustimmung, die die Redner vor dem Rathaus in Dissen ernten, mischt sich aber auch Skepsis. Die niedersächsische Landesregierung hätte eher reagieren müssen, sagt ein Demonstrant und schließt sich der Kritik der CDU an. Die wirft Ministerpräsident Stefan Weil (SPD) vor, zu spät reagiert zu haben. Schon im Herbst, als die Entscheidung über den neuen Homann-Standort vertagt wurde, hätte die Regierung etwas tun müssen.

Strategiespiel vermutet

Das sieht die Grünen-Landtagsabgeordnete Filiz Polat anders. Auch sie hat sich am Sonntag unter die DemonstrantInnen gemischt. Die Kritik sei kontraproduktiv und ein reines Wahlkampfmanöver. Es sei jetzt wichtiger, dass alle zusammenhielten. Polat vermutet, dass hinter dem Verhalten der Müller-Gruppe ein Strategiespiel stehe, um sich eine möglichst gute Position bei Verhandlungen zu verschaffen. Ein Beleg dafür sei etwa, dass auch im sächsischen Leppersdorf die Umzugspläne erst durch Berichte in der Presse bekannt wurden. Bisher soll der Ortsteil von Wachau nicht mal die nötige Fläche für Homann haben.

Zusammenhalten – das hält auch Lidia Nowakoski für wichtig. „Ich habe 32 Jahre in Polen gelebt und bin nun 32 Jahre hier“, sagt Nowakoski, deren Mann und Stiefvater mehrere Jahrzehnte bei Homann gearbeitet haben. Ohne Zusammenhalt sei auch die Solidarność-Bewegung in Polen 1980 nicht erfolgreich gewesen. Nowakoski will, wenn nötig, jede Woche für den Homann-Verbleib demonstrieren. So wurde es in Dissen auch schon für ein inzwischen doch geschlossenes Krankenhaus gemacht. „Ich bin dabei“, schließt sich ihr ein Ho­mann-Mitarbeiter an.

Müller ist nicht entgegenkommend

Die Firma Müller zeigt sich bisher wenig entgegenkommend. Ein Gespräch mit der niedersächsischen Landesregierung sagte sie Donnerstag kurzerhand ab. Minister Lies verspricht auf der Demonstration, dass werde „zügig“ nachgeholt.

Doch auch sonst ist Müller wenig begeistert vom Gegenwind. Der eigenen Betriebsfeuerwehr verbot das Unternehmen am Sonntag den Zugang zum Betriebsgelände. So hätte sie fast nicht für Ordnung bei der Menschenkette sorgen können. Doch die Feuerwehrleute wussten Rat und haben spontan ihre Betriebsuniform gegen die der Dissener Feuerwehr getauscht – und konnten so doch den Zug vom Rathaus zum Homann-Gelände begleiten.

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4 Kommentare

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  • „Fördergelder“ und „Subventionen“ bei solchen Betriebsverlagerungen sind letztlich nur aufgehübschte Worte für das, was man Planwirtschaft nennt.

  • Nicht nur Theo Müller hat seinen Wohnsitz in der Schweiz, auch sein Konzern, die "Unternehmensgruppe Theo Müller", hat ihren Sitz im Ausland. Genauer gesagt in Luxemburg, einem bekannten Steuervermeidungsparadies.

     

    In den 90ern vernichtete Müller einige tausend Arbeitsplätze in Bayern und wurde dabei sogar noch mit EU-und Bundes-Mitteln subventioniert. Im Rahmen des "Aufbau Ost" bekam er seine "neue Produktionsstätte" quasi aus öffentlichen Mitteln bezahlt. In dem Werk wurde für den niedrigeren Ost-Lohn das Gleiche produziert, wie zuvor im bayerischen Stammwerk, welches kurz nach der Eröffnung des sächsischen Standorts geschlossen wurde. "Drei Fliegen mit einer Klappe" waren das damals, ein neues, modernes Werk, Lohnkosten brutal gesenkt, und alles von Steuergeldern in mehrstelliger Millionenhöhe finanziert.

     

    1989 wurde Müller von Mitarbeitern eines damaligen Lifestyle-Magazins namens "Wiener" telefonisch interviewt, die sich als "Freundeskreis der Republikaner" vorstellten und vorgaben, um Spenden zu werben. In diesem Interview soll er, wohl aus Frust über die damalige Steuer- und Wirtschaftspolitik, unter anderem geäußert haben, die NPD sei "die einzige Partei, die man in Deutschland noch wählen" könne. Und "nur wer arbeite und auch etwas leiste" (so wie er selbstverständlich), dürfe auch vom Staat etwas erwarten. Steuersenkungen und Subventionen, vermutlich. Als die Sache anfing Wellen zu schlagen, dementierte er alle Aussagen oder relativierte sie zumindest. Z.B. habe er nur die Republikaner drängen wollen, Koalitionsbereitschaft mit der CDU/CSU zu zeigen, sonst würden die am Ende noch mit der SPD zusammengehen. Offenbar eine furchtbare Vorstellung für den Unternehmer. Bis heute wird peinlich darauf geachtet, dass nur die "richtige" Version dieses Telefonates im Netz stehen darf.

     

    Ich meide seit knapp dreissig Jahren Produkte, die den Namen "Müller" tragen oder die zur Gruppe gehören (z.B. "Molkerei Weihenstephan", "Nadler", "Nordsee", "Livio", usw.).

  • Angeblich isst doch gar niemand dieses Zeug. Ungesund, industriell gefertigt, Zusatzstoffe!!! Sollen doch alle zu Biogärtnern umschulen.

    Das einzig Interessante an dem Artikel sind doch die Machenschaften der sächsischen Landesregierung, die für ein paar Hundert "Industrie"-Arbeitsplätze viele Millionen springen lassen wird.

  • Ich bleibe mal beim Stichwort "Kartoffelsalat", stellvertretend für diverse andere Produkte der Lebensmittelindustrie.

     

    Arbeitslos werden ist schlimm. Daran gibt es keinen Zweifel. Doch Arbeitslosigkeit ist zeitlich begrenzt, aber industriell hergestellter Kartoffelsalat (wie auch diverse andere Produkte der Lebensmittelindustrie) ist für mich pesönlichlich ein Ekelprodukt geworden, bei dem mich lebenslang schon der Gedanke daran schüttelt.

     

    Es stellt sich mir deshalb nebenher leider auch die Frage, wie viele Arbeitskräfte für industriell hergestellte Lebensmittel wohl insgesamt nötig sind, um mich zu motivieren, in irgend ein Dorf umzusiedeln, nur damit ich meinen Bedarf direkt vom Landwirt beziehen kann.