Die Gesundheitsgefahr, der Menschen ausgesetzt werden, scheint in Hamburg weniger zu interessieren als Post aus Brüssel: Mit Bequemlichkeit zum Fortschritt
Fremd und befremdlich
KATRIN SEDDIG
Als ich vor zweiundzwanzig Jahren nach Hamburg kam, hatte ich die Vorstellung in eine Stadt zu ziehen, in der immer ein frisches Lüftchen weht. Tatsächlich ist es in Hamburg oft etwas windiger als zum Beispiel in Berlin, die Qualität der Hamburger Luft wird nun aber gerügt. Sie ist in vielen Städten Europas schlecht. 200 Menschen sollen täglich daran sterben, 75.000 im Jahr.
Ausgerechnet Hamburg, die Stadt des frischen Lüftchens, überschreitet regelmäßig die Grenzwerte der Europäischen Union für Stickoxide. Auch hier sterben also immer wieder Menschen an schlechter Luft. Stirbt ein Kind an Vernachlässigung oder durch Misshandlung, dann ist die Empörung in der Bevölkerung groß. Die Leute wünschen den Eltern den Tod, sie würden sie gerne lynchen. Ihren Diesel würden sie aber nicht stehen lassen, um das Leben eines Kindes, das an der Stresemannstraße wohnt, zu retten.
Sie bringen dieses Kind ja nicht alleine um, sie bringen es gemeinschaftlich um, und nur zu einem kleinen, kleinen Teil. Die Stadt Hamburg ist nun in der Pflicht, ihr droht sogar eine Strafe, wenn sie keinen Plan für die Verbesserung der Luftqualität vorlegt. Der Bund hat das beantragt und das Verwaltungsgericht entschied, dass die Stadt fünftausend Euro zahlen muss, wenn sie nicht endlich mit dem Plan rüberkommt. Das Verwaltungsgericht hat die Stadt nämlich schon 2014 aufgefordert, die EU-Grenzwerte für Stickoxide einzuhalten.
Der Plan liegt nun vor. Was steht da drin? Schiffs- und Dieselabgase sind das größte Problem in Hamburg. Und nun? Was will die Stadt tun, damit sie keine blauen Briefe von der EU mehr bekommt? Denn das scheint ja das zu sein, was den Senat zum Handeln bewegt. Nicht die Gesundheitsgefahr, der die Menschen ausgesetzt sind, jeden Tag, jede Stunde. Aber alles, was die Stadt tun kann, um die Luftverschmutzung zu verringern, kommt nicht gut an bei der Masse der Bevölkerung.
Fahrverbote für Dieselfahrzeuge: Soll es nicht geben, erklärte Olaf Scholz gerade erst gegenüber dem NDR. Meint aber jemand, ein Dieselfahrzeughalter ließe sein Fahrzeug freiwillig stehen? Menschen verzichten nicht freiwillig, die meisten Menschen nicht. Und die, die verzichten, auf ein Auto, auf das Fliegen, auf Fleisch, auf ständig neue Klamotten, über die wird nicht nur gelästert, die werden mit Hohn und Hass überschüttet. Man nennt sie „Ökospinner“.
Wenn also die Feinstaubbelastungsgrenze überschritten wird, werden die Verursacher dennoch nicht gestoppt werden. Das uneingeschränkte Autofahren ist ungefähr das höchste Gut des deutschen Bürgers. Das gilt auch für Hamburger. Radfahrer, die keinen Feinstaub produzieren, die werden in allen Foren derbst beschimpft, ihre Interessenvertreter werden „Lobbyisten“ genannt, von Leuten, die verkennen, dass sie alle derselben allerstärksten Lobby angehören, der Autofahrerlobby. Der Nahverkehr soll ausgebaut werden. Gut, aber der Nahverkehr in Hamburg wird Jahr um Jahr teurer.
Als alleinerziehende Mutter mit zwei schulpflichtigen Kindern, die also drei HVV-Monatskarten finanzieren muss, treibt mich das jedes Jahr in eine neue Wut. Ich verdiene nicht jedes Jahr mehr Geld, leider nicht. Im Verlauf meines Lebens bin ich zu folgender Erkenntnis gekommen: Menschen sind nicht bereit, auf Komfort oder Geld zu verzichten. Man kann sie nicht erziehen. Es gibt nur einen Weg, ihr Verhalten zu ändern. Man muss es ihnen angenehm machen.
Das Radfahren muss angenehm werden, bequem, der öffentliche Nahverkehr muss kostenlos werden und das Autofahren in den großen Städten muss teuer werden, sehr teuer. Dann, und nur dann, werden Menschen ihr Verhalten ändern, wenn es ihnen selbst nützt.
Katrin Seddig ist Schriftstellerin in Hamburg mit einem besonderen Interesse am Fremden im Eigenen. Ihr jüngster Roman „Eine Nacht und alles“ ist bei Rowohlt Berlin erschienen.
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