: Zukunft statt Vergangenheit
NETZ Im HAU ist am Dienstagabend Nick Srnicek, einer der Köpfe der Akzelerationismustheorie, zu Gast. Er spricht über das täglich wichtiger werdende Thema Wertschöpfung durch Daten
von Philipp Rhensius
„Daten sind das neue Öl.“ Der Satz sitzt. Und so geht es weiter: „Plattformen sind das perfekte Business-Modell des digitalen Zeitalters.“ Sie produzieren nichts selbst, sondern sind Vermittler und bieten Infrastrukturen an.
Dass Nick Srnicek, der jene Punchlines im HAU-Theater zum Besten gibt, einer der derzeit angesagtesten linken Theoretiker ist, liegt nicht nur an seinem Thema – Kapitalismuskritik –, sondern auch daran, wie er es kommuniziert: in klarer Sprache, ohne ausufernden theoretischen Überbau und gekonnt verbreitet in sozialen Medien. Als einer der Köpfe des „Akzelerationismus“ und Koautor des utopischen Manifests „Die Zukunft erfinden – Postkapitalismus und eine Welt ohne Arbeit“ steht er für eine radikal neue Linke, deren Ideen sich eher modular als dogmatisch zusammensetzen: Zukunft statt Vergangenheit, Optimismus statt linker Melancholie, Popkultur statt Lagerfeuer, Twitter-Diskussionen statt verstaubter Kneipendebatten. Digitale Technologien sind kein Teufelszeug, sondern prometheisches Werkzeug.
Insbesondere der Digitalsphäre aber steht Srnicek inzwischen skeptisch gegenüber. Am Dienstagabend stellt der in London lebende Kanadier auf der politischen Diskussionsreihe „Fearless Speech“ sein neues Buch „Platform Capitalism“ vor. Darin beschreibt er, wie und in welche Richtung sich der Kapitalismus seit der internationalen Wirtschaftskrise 2008 verändert hat, in Richtung Industrie 4.0, also verkürzt gesagt: globale Vernetzung.
Ihre erfolgreichsten Vertreter sind Plattformen, die weitgehend von einer Ressource leben: Daten. Plattformen sind, als Resultat einer immer weniger auf Produktion beruhenden Wirtschaft, jene Akteure, die diesen Rohstoff am geschicktesten zu Geld machen. Weil die Produktion von Waren immer weniger Profit abwirft, sind viele Unternehmen dazu übergegangen, Daten zu sammeln oder zu verarbeiten.
Airbnb, Deliveroo, Uber
Srnicek unterscheidet zwischen fünf Arten von Plattformen: solchen wie Google und Facebook, deren Profit fast zu 100 Prozent aus Werbung generiert wird. Cloud-Plattformen wie Amazon Web Services, das als Cloud Computing-Anbieter für Netflix oder Dropbox einen riesigen Anteil am Unterhaltungssektor hat und Srnicek zufolge eine Art zeitgenössischen Feudalismus betreibt. Industrielle Plattformen wie „Mindsphere“ von Siemens oder Produkt-Plattformen wie Rolls Royce, die ihre Flugzeugturbinen nicht mehr verkaufen, sondern verleihen und sich mit Datenchecks und Wartungen einen erheblichen Wettbewerbsvorteil erarbeiten. Zu guter Letzt die schlanken Plattformen: Airbnb, Deliveroo und Uber.
Das Problem: Statt die Ökonomie zu demokratisieren, haben sich die Plattformen in Monopole verwandelt. Paradoxerweise, ohne viel zur Realwirtschaft beizutragen. Facebook, Google oder Microsoft gehören zwar zu den Top-Unternehmen, doch in den USA haben sie 2016 nur 7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts erwirtschaftet. Sie haben zudem wenige Angestellte, abgesehen von den in Niedriglohnländern outgesourcten Hardware-Produzenten.
Die Plattformen profitieren am meisten von Netzwerk-Effekten: Auf Facebook und seine verführerischen Vernetzungsmöglichkeit möchten heute die wenigsten verzichten, genauso wenig wie auf Amazon. Weil sie, das ist das Perfide an ihnen, nicht nur gesellschaftliche Teilhabe simulieren, sondern auch, wie im Fall des Onlineversandhändlers, den günstigen Preis und die kürzeste Wartezeit anbieten.
Zentrale Merkmale sind außerdem das „Core Subsidiary-Prinzip“ – kostenlose, anderweitig finanzierte Dienstleistungen – und die „Designed Core Architecture“, die eine eigenständige Politik betreiben, sind also nicht neutral, nicht Teil eines freien Marktes. In den Karten von Uber etwa, so Srnicek, würden stets mehr Fahrzeuge angezeigt, als in Wirklichkeit verfügbar sind, um eine gewisse Marktsättigung vorzugaukeln.
Nick Srnicek, Alex Williams: „Die Zukunft erfinden. Postkapitalismus und eine Welt ohne Arbeit“. Edition Tiamat 2016, 384 Seiten, 24 Euro
Nick Srnicek: „Platform Capitalism“. John Wiley & Sons 2016, 120 Seiten, 12,90 Euro (engl. Ausgabe)
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen