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Zwei alte Leute am 1. Mai

Ungleiches Paar, friedlich vereint. Polizist und Demonstrant am 1. Mai 2011 in Berlin. 1930 veröffentlichte Kurt Tucholsky sein Gedicht unter dem Pseudonym Theobald Tiger in der Arbeiter-Illustrierten-Zeitung Foto: Miguel Lopes

– »Weißt du noch, Alter, vor dem Kriege?

Wir haben manchen Mai erlebt.

Wir glaubten an die schnellen Siege –

du hast das Streikplakat geklebt …«

– »Ja, Alte, das waren schöne Zeiten …

Wir waren allemal dabei –

Ich seh uns noch im Zuge schreiten

am 1. Mai.«

– »Und unser Jüngster war noch klein. Den ließ ich

zu Haus … wir gingen los mit Hans.

Mitunter wars ja etwas spießig –

so … Kriegerverein mit Kaffeekranz.«

– »Na, laß man – du warst doch die Nettste!

Mir wars bloß zu viel Dudelei …

Und anno 14 wars denn auch der letzte –

der 1. Mai.«

– »Kein Wunder. Mußt mal denken, Alter:

Wer ist uns da voraufmarschiert!

Der Wels als roter Fahnenhalter,

der Löbe, prächtig ausstaffiert …«

– »Ja solche haben glatte Hände …

Für die ist frisch, fromm, frech und frei

der Klassenkampf schon längst zu Ende –

Die und der 1. Mai!

Was wissen die vom Klassenkrieg …!

Die schützen sich vor ihrer eigenen Republik –!«

– »Na, laß man, Alter, die Beschwerde.

Ich weiß, dass etwas in uns singt:

Wacht auf, Verdammte dieser Erde,

die stets man noch zum Hungern zwingt!«

– »Wir wissen, Alte, was wir lieben:

den Klassenkampf und die Partei!

Wir sind ja doch die Alten geblieben

am 1. Mai! Am 1. Mai!«

Theobald Tiger

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