piwik no script img

Nur die Hoffnung bleibt

DOKUMENTATION Die „NSU-Monologe“ der Bühne für Menschenrechte geben den Hinterbliebenen der Opfer des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ eine Stimme

von Tom Mustroph

Zu Beginn hatte sie noch Vertrauen zur Kanzlerin. „Merkel hat ein Versprechen abgegeben. Ich habe die Hoffnung, sie steht zu ihrem Versprechen“, sagt Adile Şimşek, Nebenklägerin im NSU-Prozess – und bezieht sich dabei auf das Versprechen vollumfänglicher Aufklärung der NSU-Morde, das Merkel bei einem Empfang der Hinterbliebenen der Opfer gegeben hatte.

„Als Bundeskanzlerin verspreche ich Ihnen: Wir tun alles, um die Morde aufzuklären und die Helfershelfer und Hintermänner aufzudecken und alle Täter ihrer gerechten Strafe zuzuführen. Daran arbeiten alle zuständigen Behörden in Bund und Ländern mit Hochdruck“ – so lautete die Originalaussage von Merkel seinerzeit. Auch diese Worte sind in den „NSU-Monologen“ der Berliner Bühne für Menschenrechte wieder zu hören. Nicht aus dem Mund von Merkel, sondern aus dem der Schauspielerin Meri Koivisto.

Wie auch Adile Şimşeks Worte nicht von Şimşek selbst gesagt werden, sondern von Elisabeth Pleß. Aber Pleß verschmilzt im Laufe des gut zweistündigen Stücks derart mit der Figur der Unternehmersfrau Şimşek, die ihren Mann und ihre Tochter durch die Morde verloren hat, dass für alle, die die Witwe des Blumenhändlers Enver Şimşek nicht persönlich kennen, die Schauspielerin irgendwann schlicht Şimşek ist.

NachgezeichneteFamiliengeschichten

Dabei sehen sich Pleß und Şimşek nicht einmal ähnlich. Aber die Schauspielerin zeichnet Şimşeks Gemütsbewegungen – die Trauer, den Zorn, die Gefühle des Verlassenssein und auch die verklärten Erinnerungen – so überzeugend nach, dass man sich an diesem Theaterabend eben doch der Frau des Mordopfers gegenüber wähnt.

Das gilt auch für Selin Kavak, die als Elif Kubaşık über den gemeinsamen Ausreißversuch mit ihrem Mehmet erzählt. Beide flüchteten aus dem heimatlichen Dorf, ein paar Freunde halfen, warfen Bierflaschen aus dem Auto, um die Verfolger mit Scherben aufzuhalten. Später erfuhren sie, dass zum gleichen Zeitpunkt in der gleichen Gegend ein anderes Liebespaar auch auf der Flucht war. Auch Kavak nimmt man die Geschichte ohne Abstriche als selbst erlebt ab.

‚Gut gemacht‘, frohlockt man da – und hat doch nur deshalb Kenntnis von der Sache, weil Jahre später Mehmet Kubaşık in seinem Kiosk von den Rechtsradikalen Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos erschossen wurde. Nur deshalb wird man ja überhaupt zum Voyeur dieser Familiengeschichten.

Rufmord an den Opfern

Natürlich handelt es sich auch um Voyeurismus. Und Michael Ruf, der Regisseur der „NSU-Monologe“, der sich in den Jahren zuvor schon mit den „Asyl-Monologen“ und -„Dialogen“ einen Namen als sensibler Theaterdokumentarist gemacht hat, gibt offen zu, dass es ein längerer Prozess gewesen ist, die Familien der Opfer für das Projekt zu gewinnen.

Gut, dass sie es schließlich doch taten; neben Kubaşık und Şimşek beteiligte sich noch die Familie von Halit Yozgat, dem in Kassel erschossenen Betreiber eines Internetcafés, am Projekt und gab den Theatermachern lange Interviews. Denn man erfährt in den „NSU-Monologen“ – ein irreführender Titel, es monologisieren ja nicht nicht posthum Mundlos, Böhnhardt oder die in München angeklagte Beate Zschäpe – nicht nur aus der Perspektive der Angehörigen der Ermordeten von den Taten. Der Theaterbesucher ist auch mit dem Rufmord nach dem Mord konfrontiert; mit den Verdächtigungen, dass die Täter aus dem Familienumfeld kommen könnten; dass die Opferfamilien in kriminelle Milieus ver­wickelt seien.

Verlangen nachEntschuldigungen

Man wünscht sich, dass sich wenigstens einzelne Ermittler für die Vorverurteilungen entschuldigt hätten. Oder dass sich bei Journalistenkollegen Berufsehre und persönlicher Anstand zu einer Bitte um Verzeihung verdichtet hätten. Und egal wie man politisch zu Angela Merkel steht, wünschte man auch, dass Adile Şimşek von erfüllter Hoffnung in eine Exekutive sprechen könnte. Ihr Fazit aber lautet: „Also Merkel hat bis jetzt noch nichts aufgedeckt.“ Der „Hochdruck“ der „zuständigen Behörden in Bund und Ländern“, er gilt offenbar eher dem Zu­decken.

Aber solange immer noch von einer „Zelle“ dreier durchgeknallter ideologisierter Krimineller die Rede ist und nicht von einem teils von V-Männern durchsetzten Netzwerk, in dem Einzelne auch finanziell profitierten – das belegen Danksagungen rechter Blätter an die Bank raubenden Geldspender des NSU – bleibt das Vertrauen in den Staat erschüttert. Das wird an diesem berührenden Theaterabend ganz besonders deutlich.

Aufführung am Fr, 5. Mai, 19.30 Uhr im Rahmen der Tagung des Netzwerks kritische Migrations- und Grenzregimeforschung, Haus der Jugend Osnabrück, Große Gildewart 6-9

Weitere Aufführung am So, 28. Mai im Rahmen der „Kulturellen Landpartie“ im Wendland, Kommune Güstritz, Im Rundling 14

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen