: FN mit Heimvorteil
Jubel In der Kleinstadt Hénin-Beaumont wählte am Sonntag jeder Dritte Marine Le Pen. Ihr rechtsextremer Front National stellt hier den Bürgermeister – wegen den Fehlern seines Vorgängers
Aus Hénin-Beaumont Christian Jakob
Das bislang beste Ergebnis des Front National feierte Marine Le Pen nicht in Paris, sondern in ihrem Wahlkreis Hénin-Beaumont, 26.000 Einwohner, im Rostgürtel an der Grenze zu Belgien – einem der ärmsten Teile Frankreichs: Der FN kümmert sich um die Abgehängten – das ist die Botschaft. Vom Stadtkern gehen gewundene Straßen mit kleinen Reihenhäusern aus Backstein ab, die Mauern ergraut. An der Tankstelle kaufen Männer in Jogginghosen Tabak, im einzigen Kiosk, der Sonntags geöffnet hat, sitzen rote Gesichter vor gezapften Bieren.
Stundenlang stehen die Le-Pen-Fans vor der Turnhalle an, manche mit weiß-rot-blauer Schminke, die Jungen sehen aus wie bei ihrem Abiturball, Frauen staksen in dünnen Kleidern heran. Der FN-eigene Sicherheitsdienst trägt Krawatten, auf die „Ehre und Treue“ gestickt ist – der Slogan der Fremdenlegion. Hinter der Halle erheben sich anthrazitfarbene Hügel wie kleine Vulkane – als Denkmal aufgeschüttete Reste des einstigen Kohlebergbaus.
EU-Fahne abgehängt
15 Städte in Frankreich sind rechtsextrem regiert, aber nur Hénin-Beaumont konnte der FN im März 2014 schon im ersten Wahlgang gewinnen. Jahrzehntelang hatte der heutige Bürgermeister und EU-Abgeordneter Steeve Briois darauf hingearbeitet. Der 45-Jährige stammt aus dem Ort, seit früher Jugend war er Fan von Marine Le Pens Vater Jean-Marie, dem früheren FN-Parteichef. 1995 erlangte Briois sein erstes kommunales Mandat. Gefördert von Jean-Marie Le Pen zog er 2007 in den Parteivorstand ein, 2011 wurde er FN-Generalsekretär, 2014 Vizepräsident und Nummer zwei der Liste für die EU-Wahl.
130 Jahre lang wurde in Hénin-Beaumont Kohle gefördert. Als Briois 1972 geboren wurde, war die letzte Mine freilich schon zwei Jahre dicht. Die Region erholte sich nicht. Die Arbeitslosigkeit liegt heute um die Hälfte höher als im Landesdurchschnitt. Briois gab Globalisierung, Eliten und Immigranten die Schuld. Jahrzehntelang war er hier der FN-Mann der Basis.
Den größten Beitrag zum lokalen FN-Durchmarsch aber lieferte die Konkurrenz, die Sozialisten. 2013 verurteilte ein Gericht den Bürgermeister Gérard Dalongeville zu vier Jahren Knast. Vier Millionen Euro aus den Kassen der Kleinstadt hatte er an dubiose Firmen verschoben, die Stadtschulden stiegen von 8 auf fast 13 Millionen Euro. Die Anwürfe des FN gegen die politische Klasse – im Lokalen lieferte Dalongeville für sie gleichsam den Beweis. 2014 holte Briois für den FN 50,3 Prozent der Stimmen. Als Erstes ließ er die EU-Fahne am Rathaus abhängen. Am Sonntagvormittag, als Le Pen hier wählt, protestieren Femen-Aktivistinnen barbusig, sie werden sofort verhaftet. Am Nachmittag ist kein einziger Demonstrant mehr zu sehen.
Pietrzak Henry hat polnische Wurzeln. Früher war er hier Berufsschullehrer, seit 13 Jahren ist er pensioniert. Zum Anzug und weißen Hemd trägt er eine violett-glänzende Fliege. Mit einigen ehemaligen Schülern steht er in der Schlange. „Natürlich haben wir sie gewählt“, sagt er. „Immer schon. Und wir hier wissen ja, wie es ist, wenn der FN regiert.“ Der Bürgermeister Briois höre „jedem hier zu, egal, ob Direktor oder Arbeitsloser“, sagt Henry. Dass der FN in den vergangenen zwei Jahren nichts gegen die desolate wirtschaftliche Lage in der Stadt auszurichten vermochte, trägt Henry ihm nicht nach. „Wunder können die auch nicht“, sagt er.
Es sind vor allem wirtschaftliche, soziale Fragen, die die Leute offenbar bewogen haben, sich dem Front National zuzuwenden. Immigration, Islam, Terror nennt hier kaum jemand. Um 21.03 Uhr tritt Le Pen auf die Bühne. Die Wahl, die die Franzosen hätten, sei einfach, sagt sie: Masseneinwanderung, Terror und Untergang oder „Jobs, Sicherheit und Identität“, sagt Le Pen. „Es geht um das Überleben Frankreichs.“
Ein Mann, der sich als Mordi vorstellt, ist die 200 Kilometer aus Paris gekommen, um einen Blick auf Le Pen zu erhaschen. „Sie ist mein Leben, ich liebe sie.“ Für ihn steht außer Frage, dass Frankreich einen „radikalen Wechsel“ brauche. Und zwar vor allem wegen des Euros. „Damals kostete ein Baguette einen Franc, heute einen Euro. Den Preis haben doch nicht die Bäcker verdreifacht.“
32,96 Prozent der Stimmen hat Marine Le Pen in Hénin-Beaumont erhalten – deutlich weniger, als ihre Partei bei der Kommunalwahl bekam.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen