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Fakten statt Fake News aus Washington

Protest Es ist nicht gerade das typische Demo-Publikum, das für die Anerkennung wissenschaftlicher Forschung und damit gegen Donald Trump auf die Straße geht – umso origineller ist sein Protest

Aus New York Dorothea Hahn

Chris Marr war seit 26 Jahren nicht mehr bei einer Demonstration dabei. Damals ging der Chemiker gegen den Krieg von Bush Senior im Irak auf die Straße. Aber als er von dem Aufruf für „March for Science“ hörte, war für ihn klar, dass seine Abstinenz zu Ende ging. „Es hat mich aufgerüttelt“, sagt er, „die Demokratie ist in Gefahr.“

An diesem 22. April steht der 46-Jährige mit seiner Frau Susan, die mit psychisch Kranken arbeitet, und seinen beiden kleinen Töchtern am Fuß des George Washington Memorials. Auf den vier handgemalten Transparenten der Marrs ist zu lesen, dass sie die Wissenschaft lieben, dass sie bereit sind, dafür aufzustehen, und dass Wissen der beste Umgang mit Angst ist.

Mehr als 15.000 WissenschaftlerInnen sind an diesem Samstag, dem weltweiten „Earth Day“, bei strömendem Regen durch Washington gezogen. Manche haben eine noch längere Reise als die Marrs gemacht, um ihre Fakten gegen die „alternativen Fakten“ der neuen Regierung in die US-Hauptstadt zu bringen. Viele haben ihre eigene Regel über Bord geworfen, die Arbeit im Labor von der Politik zu trennen.

„Eigentlich sollte Forschung kein parteipolitisches Thema sein“, findet der Neurowissenschaftler Alex Medina. Der 48-Jährige, der an der Universität Maryland über die Auswirkung von Alkoholismus auf die Gehirnentwicklung von Föten forscht, hat nie zuvor demonstriert. Aber die milliardentiefen Einschnitte, die Präsident Donald Trump für den Etat des Nationalen Gesundheitsinstitutes NIH plant, sind einfach zu viel für ihn. „Das wird die biomedizinische Forschung an den meisten Universitäten in den USA schwer beeinträchtigen“, sagt er.

Proteste von der Antarktis bis nach Island

Eisige Grüße:Auch die Wissenschaftler der Polarforschungsstation „Neumayer III“ in der Antarktis haben sich am Samstag am weltweiten March for Science beteiligt. Ein vom Alfred-Wegener-Institut (AWI) in Bremerhaven verbreitetes Foto zeigt sieben dick eingepackte Forscher mit einem Transparent vor der Station, darauf ein Zitat der Physik-Nobelpreisträgerin Marie Curie (1867–1934): „Man braucht nichts im Leben zu fürchten, man muss nur alles verstehen. Jetzt ist die Zeit mehr zu verstehen, damit wir uns weniger fürchten.“

Heiße Proteste: Weltweit haben bei mehr als 600 Veranstaltungen Zehntausende Menschen für eine faktenbasierte Politik demonstriert. Proteste gab es unter anderem in Australien, Argentinien, Brasilien, Kanada, Kolumbien, Costa Rica, Dänemark, Island, Indien, Japan, Mexiko, Neuseeland, Panama, Portugal, Norwegen, Südafrika, Südkorea, Uganda und der Schweiz. (dpa)

Negative Konsequenzen von Trumps Politik sehen die DemonstrantInnen nicht nur für die staatlichen Institutionen, sondern auch für die Privatwirtschaft. Krebsforscher Glenn Cantor, der für einen Pharmakonzern in Connecticut an der Entwicklungen von Medikamenten arbeitet, die das Immunsystem gegen Haut-, Lungen- und Nierenkrebs stärken sollen, erklärt, dass alle Forschung auf dem wissenschaftlichen Wissen aufbaut, das mithilfe von Fördermitteln der Regierung zustande gekommen ist. „Das wird alles auseinanderfallen“, sagt er. Chemiker Marr, der in Massachusetts bei Merck arbeitet, hat eine weitere Konsequenz von Trumps Politik beobachtet. Eine türkische Kollegin fürchtet, dass eines Tages auch sie wegen Trumps Einreiseverbots nicht weiterarbeiten könnte. Die Familie eines iranischen Kollegen, der seit 1980 in den USA arbeitet, ist in diesem Jahr daran gehindert worden, ihn in Boston zu besuchen. Auf diese Dinge, so findet Marr, reagieren die Konzerne bislang noch viel zu zaghaft.

So unerfahren die DemonstrantInnen sind, die dem Regen in Washington trotzen, so originell und witzig sind die Slogans, die sie auf ihre Transparente geschrieben haben.

„Ihr kennt niemanden mit Kinderlähmung? Ich auch nicht“, ist da zu lesen. Und: „Du tweetest? Dank einem Wissenschaftler“. Und: „Wir haben noch keinen Impfstoff gegen Dummheit gefunden“. Satelliteninstallateur Eric Smeltzer trägt ein Plakat, auf dem über der Kuppel des Kapitols eine Flamme steht, und der Chemiker David Westmoreland von der Wesleyan-Universität in Connecticut zieht in einem weißen Kittel unter seinem schwarzen Schirm über die Straße.

Auf seinem Transparent beruft er sich auf Kopernikus. „Die Wissenschaft kämpft seit 1543 gegen die Kräfte von Ignoranz und Aberglaube“, ist da zu lesen. Neben anderen kommen an diesem Tag in Washington auch die WissenschaftlerInnen Galileo Galilei, Marie Curie und Albert Einstein mit zahlreichen Zitaten zu Ehren.

„Ich demonstriere nicht gegen den Präsidenten, sondern für die Wissenschaft“

Korallenforscher Mark Eakin

Am härtesten sind von Trumps Einschnitten die Beschäftigten des Umweltinstituts EPA betroffen. Dort will der Präsident 31 Prozent des Etats kürzen und ein Viertel der Beschäftigten loswerden. Gleich nach seinem Amtsantritt ist dem EPA ein Maulkorb angelegt worden, der dazu führte, das EPA-eigene Forschungsergebnisse über Themen wie Klimawandel, die nicht in die politische Landschaft von Trump­land passen, spurlos von den Webseiten verschwunden sind.

EPA-MitarbeiterInnen, aber auch Angestellte der unter Beschuss stehenden National Park Service, des Nationalen Ozeaninstitutes und anderer Behörden, die sich mit Wetter- und Klimaforschung befassen, sind aus Angst vor möglichen Konsequenzen nicht gekommen. Andere demonstrieren zwar, wollen der Reporterin aber nicht ihre Namen und ihre Arbeitsfelder nennen.

Korallenforscher Mark Eakin, der bei National Oceanic and Atmospheric Administration über das Absterben von Korallenriffen forscht, hat noch Hoffnung. Er hat schon andere Regierungen in Washington erlebt, die an der Forschung sparen wollten. Und er sagt: „Ich demonstriere nicht gegen den Präsidenten, sondern für die Wissenschaft.“ Aber auf seinem Transparent kontrastieren die „alternativen Fakten“ von Trumps enger Beraterin Kellyanne Conway mit einem Satz, der an diesem Tag in Washington hoch im Kurs steht: „Unsere Arbeit ist es, ­Belege zu liefern.“

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