Verworrenes Dickicht

Champions League Das Ausscheiden von Dortmund in Monaco wirft viele Fragen auf. Es geht um das Bombentrauma, mysteriöse Trainerentscheidungen und Grundsätzliches

Hilflos und angreifbar: Dortmunds Trainer Thomas Tuchel auf der Suche nach einer guten Idee Foto: dpa

Aus Monaco Daniel Theweleit

Besondere Momente im Verlauf einer Fußballsaison rufen oftmals denkwürdige Reaktionen hervor, man muss nur an die heftigen Emotionen denken, von denen die Herren vom FC Bayern am Dienstag nach der Niederlage bei Real Madrid erfüllt waren. Einen Tag danach ist nun auch der BVB aus diesem strahlenden Wettbewerb ausgeschieden. Erstmals in diesem Jahrzehnt findet das Halbfinale der Champions League ohne einen Bundesligisten statt. Im Gegensatz zu den aufgebrachten Münchnern wickelten die Dortmunder ihre Niederlage jedoch bemerkenswert routiniert ab. „Wir waren nicht hundertprozentig bereit, das war ausschlaggebend“, sagte Torhüter Roman Bürki nach der 1:3-Niederlage bei AS Monaco, und Marco Reus ergänzte: „Wir waren zu passiv bei den Gegentoren. Uns haben einfach ein bisschen der Wille und die Kraft gefehlt.“

Die Vermutung liegt nahe, dass diese Mannschaft emotional schwer erschöpft war nach dem Sprengstoffanschlag auf den Mannschaftsbus und gegen Ende einer Saison, in der es permanent hoch herging beim BVB. „Es ist nicht fair, heute ein Champions-League-Resümee zu ziehen“, sagte Thomas ­Tuchel vor dem Hintergrund der besonderen Umstände, und natürlich hatte der Trainer damit recht. Allerdings steckt er selbst mitten drin im Aufarbeitungsprozess, der mehr und mehr als hoch komplizierte Herausforderung erkennbar wird: Tuchel muss einen Weg durch das verworrene Dickicht der Ursachenforschung finden, in dem sich körperliche Müdigkeit mit den üblichen Formschwankungen und den Folgen der Erlebnisse der vorigen Woche verflechten.

Die Auslosung: Heute wird im schweizerischen Nyon das Halbfinale der Eliteliga ausgelost (ab 12 Uhr, Sky Sport). Im Rennen sind noch: Real Madrid, Atletico Madrid, Juventus Turin und AS Monaco.

Die Seriensieger: Real Madrid hat den Titel (vor 1997: Europapokal der Landesmeister) 11-mal gewonnen. Dahinter rangieren der AC Milan (7) und drei Mannschaften mit jeweils fünf Erfolgen: der FC Bayern München, FC Liverpool und FC Barcelona. Am häufigsten standen spanische und italienische Teams im Finale (jeweils 27-mal).

Wie rudimentär das Bombentrauma verarbeitet ist, wurde in Monaco noch einmal deutlich, als die Polizei den voll besetzten Mannschaftsbus eine Viertelstunde lang nicht vom Hotel zum Stadion aufbrechen ließ. „Auf mehrmaliges Nachfragen, hat man uns gesagt: aus Sicherheitsgründen“, erzählte Tuchel, „natürlich gibt es kaum eine schlechtere Situation, das war ein beklemmendes Gefühl“, und Marcel Schmelzer erklärte: „Ich würde lügen, wenn ich behaupten wurde, dass uns das nichts ausgemacht hat.“

Das Spiel begann mit einer fünfminütigen Verspätung und nach einer Viertelstunde stand es aufgrund von auf diesem Niveau unverzeihlichen Fehlern von Roman Bürki, Erik Durm und Lukasz Piszczek 2:0 für Monaco. Aber was soll Tuchel nun im Rahmen seiner Analyse mit diesen Spielern anfangen? Kann man schlechte Leistungen auf die Folgen des Anschlags schieben? All diese Dinge seien „nach den letzten acht Tagen, ehrlich gesagt, schwer zu beantworten, sagte Tuchel und beschloss: „Ich mache der Mannschaft keinen Vorwurf.“

Das ist nachvollziehbar, klar ist aber auch, dass Symptome, wie schlimme individuelle Fehler in der Defensive und eine große Ruhelosigkeit bei eigenem Ballbesitz schon während der ganzen Saison ein Problem darstellen. Und der Verweis auf die Jugendlichkeit der Spieler greift ebenfalls zu kurz, weil es nicht selten erfahrene Kräfte wie eben Piszczek oder Bürki sind, denen folgenschwere Missgeschicke unterlaufen. Irgendwie wirkte Tuchel ratlos, und natürlich werden nun auch seine eigenen Entscheidungen unter die Lupe genommen.

Ruhelosigkeit bei Ballbesitz ist schon während der ganzen Saison ein Problem

Dass der Trainer bereits nach 25 Minuten Erik Durm auswechselte und die Abwehrreihe von einer Fünfer- in eine Viererkette umwandelte, wirkte wie die Korrektur einer Fehleinschätzung. Und dass er in der Halbzeit mit Nuri Sahin einen der stabilsten Dortmunder auswechselte, sorgte ebenfalls für Kopfschütteln. Zwar lieferte Tuchel eine schlüssige Erklärung, er habe angesichts des Rückstands mit Raphael Guerreiro einen torgefährlicheren Spieler im Zentrum haben wollen, und dennoch war es ein Abend, an dem auch der Trainer angreifbar war.

Wie für viele Spieler ist dieses allerhöchste Vereinsfußballniveau unerforschtes Terrain für Tuchel, und vermutlich wird er selbst irgendwann Ideen haben, was er hätte besser machen können. Aber so ist das nun mal: Fußball bleibt ein Spiel der Momente, und die Dortmunder haben diesen herausfordernden Moment nicht erfolgreich bewältigen können. Allerdings gibt es wohl kein Bundesligateam, das so viel Substanz zur Weiterentwicklung aus dieser Saison mitnimmt wie der BVB, und eine Chance auf den ganz großen Coup bleibt ja noch: Am kommenden Mittwoch trifft der BVB im Halbfinale des DFB-Pokals auf den ebenfalls mächtig durchgeschüttelten FC Bayern München.