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Ganz viel mit dem Rad unterwegs und manchmal mit der Fähre zum anderen Ufer, wie hier in Bleckede: die Elbtalaue Foto: Philipp Schulze/dpa

Von Wölfen und Widerstandskneipen

Wendland Mit dem Fahrrad durch die paradiesische Elbtalaue im Wendland ist eine Tour durch ziemlich viel Natur – wenn da nicht Gorleben wäre. Dafür gibt es zum Ausgleich Wanderdünen und Sumpfwälder

von Reimar Paul

Der Naturpark Elbhöhen-Wendland – bis vor Kurzem noch Elb­ufer-Drawehn geheißen – ist ein Paradies für Radler. Er umfasst das Elbtal im Norden und den Höhenzug Drawehn im Westen des Landkreises Lüchow-Dannenberg. Doch Höhenzug klingt etwas angeberisch, denn nur bei Hitzacker und in den Ausläufern des Waldgebietes Göhrde gibt es ein paar Hügel.

Die meisten Strecken verlaufen flach auf Radwegen und kaum befahrenen Straßen und sind deshalb auch für Familien mit Kindern bestens geeignet. In der wunderschönen Landschaft gibt es viel zu gucken. Um Essen und Trinken braucht sich niemand zu sorgen – vor allem am Ostufer der Elbe, in den nicht mehr ganz so neuen Bundesländern, haben in den vergangenen Jahren zahlreiche Cafés und Kneipen aufgemacht, die meisten sind auf Radfahrer eingestellt.

Die mittlere Elbe ist einer der naturbelassensten Flüsse Europas. Meist wurden die Deiche weit weg vom Wasser gebaut. Die oft überschwemmten Wiesen bieten gemeinsam mit den Altarmen und kleinen Tümpeln ein prachtvolles Panorama. Die schönsten Abschnitte der Elbtalaue finden sich zwischen Hitzacker und Dömitz sowie zwischen Pevestorf und Schnackenburg, das im äußersten östlichen Zipfel des Kreises Lüchow-Dannenberg am Fluss liegt.

Ganz in der Nähe von Pevestorf führt der Elberadweg durch das verwunschene Elbholz. In dem alten Sumpfwald tummelt sich viel Federvieh, etwa der seltene Mittelspecht, und anderes Getier. Im ebenfalls nahen Flüsschen Seege, das bei Gartow in die Elbe mündet, haben Biber ihre Burgen gebaut. Von hier lohnen Abstecher ins Hinterland. Wer noch nicht dort war oder noch einmal richtig wütend werden will, kann den Atomkomplex besichtigen, der sich in den Gorlebener Wald gefressen hat: Die Castorhalle, das Fasslager für schwach radioaktive Abfälle, die Pilotkonditionierungsanlage und das immer noch umzäunte Erkundungsbergwerk sind in einer Viertelstunde zu erreichen.

Dorfrepublik und Rundlingsdörfer

Zum Verarbeiten der Eindrücke empfiehlt sich eine Pause in einer der traditionellen „Widerstandskneipen“ in der Umgebung von Gorleben, im Gasthaus Wiese in Gedelitz oder in den Trebeler Bauernstuben. Das eine oder andere Rundlingsdorf ist ebenfalls einen Besuch wert. Wer dazu keine Lust hat, kann mit dem Finger auf der Radkarte Orte mit so putzigen Namen wie Waddeweitz, Meuchefitz oder Reddebeitz abfahren.

Eine zeitgeschichtliche Hinterlassenschaft ist die „Dorfrepublik Rüterberg“ auf der mecklenburgischen Elbseite. Der Ort liegt auf einer Landzunge und war in der DDR komplett abgesperrt und eingezäunt. Die Bewohner erzählen, wie sie beim Betreten und Verlassen des Dorfes jedes Mal ihre Papiere vorzeigen mussten und kaum Besuch empfangen konnten. Als Erinnerung an diese Zeit gab sich der Ort nach dem Fall der Mauer bei einer Einwohnerversammlung den Namen „Dorfrepublik Rüterberg“.

Auch das Amt Neuhaus, eine niedersächsische Exklave am Ostufer der Elbe, bietet mit der noch „lebenden“ Sixter Wanderdüne ein landschaftliches Kontrastprogramm zum Flusstal. Der Sand wird durch den Wind ständig bewegt und neu verteilt, auf dem fast zehn Hektar großen Gelände verschieben sich die Offensandbereiche und Trockenrasenflächen. Dass die Düne bis heute aktiv ist, sieht man an den halb verschütteten Kiefern.

Überhaupt lohnt gelegentlicher Wechsel von einer Flussseite auf die andere. In Neu Darchau, Hitzacker, Pevestorf und Schnackenburg verkehren, solange es hell ist, kleine Fähren. Die einzige Brücke der Region führt bei Dömitz über die Elbe.

Richtig erholsam wird der Radurlaub im Wendland für den alltagsgestressten Städter allerdings nur, wenn er oder sie das richtige Quartier nicht erst bei der Anreise aussucht. Das gilt vor allem für die Ferienzeit oder die „Kulturelle Landpartie“ – zwischen Himmelfahrt und Pfingsten öffnen fast alle Höfe, Werkstätten und Galerien für das Publikum.

Der Lindenkrug und der daneben gelegene Lindenhof in Pevestorf gehören zu den angenehmsten und gleichzeitig preiswertesten Unterkünften im Wendland. Das Schreien der Kraniche, die auf den weiten Wiesen hinter dem Haus ihr Dauerquartier bezogen haben, ist hier noch das lauteste Geräusch. Von der kleinen Terrasse, auf der bei schönem Wetter das Frühstück eingenommen werden kann, sind die Vögel gut beim Landeanflug auf ihre Fressplätze zu beobachten.

Das Personal um die aus Bayern zugezogene Wirtin Ingrid Schmidtke ist ausnehmend freundlich und aufmerksam, die schlichten Zimmer haben weder Telefon noch WLAN. Von dem kopfsteingepflasterten und von alten Eichen umstandenen Vorplatz sind es nur schlappe zwei Kilometer bis zur Elbe.

Salderatzen als Zentrum der kulturellen Landpartie

Das Schreien der Kraniche, die auf den weiten Wiesen hinter dem Haus ihr Dauerquartierbezogen haben, ist hier noch daslauteste Geräusch

Von anderem Kaliber ist das Herrenhaus Salderatzen in dem gleichnamigen kleinen Rundlingsdorf im südlichen Kreis Lüchow-Dannenberg. Hausherr ist hier der wendländische Anti-Atom-Veteran und Ex-Greenpeace-Aktivist Heinz Laing. Er hat das Anwesen schon vor Jahren gekauft und zur Pension umgebaut. Die Zimmer heißen „Sozialistisches Zimmer“, „Blaues Zimmer“, „Teufelszimmer“ oder „Engelszimmer“. Das Studio mit Kamin firmiert als „Schweinebucht“. Die Räume sind individuell und etwas schrill eingerichtet. Auf den Fluren verheißen lustige Plastikfiguren und Bilder mit großen Brüsten und erigierten Penissen intensive Nächte.

Während der „Kulturellen Landpartie“ ist das Herrenhaus Salderatzen eines der Zentren des Geschehens. Auf der Freilichtbühne im Hof treten dann schwule, lesbische und Hetero-Chöre aus dem ganzen Land auf. Scheunen fungieren als Galerien, Ställe werden zu Ateliers, das „Heuhotel“ ist stets komplett ausgebucht. Auf einer Wiese hinterm Haus kann man zudem zelten.

Im wendländischen Norden, am Rande der Göhrde, liegt die Öko-Pension Kenners Landlust mit rund einem Dutzend geräumiger Zimmer und mehreren Ferienwohnungen. Im Januar 2005 avancierte das Haus zum ersten Bio-Hotel in Norddeutschland. Und tatsächlich ist hier wirklich alles bio: Das Essen hat das Biosiegel, stammt also komplett aus kontrolliert ökologischen Lebensmitteln und Wildsammlung. Für den Um- und Ausbau des Hauses wurden atmende Baustoffe und Farben, geölte Holzoberflächen und Vollholzmöbel verwendet. Rauchen ist nur draußen gestattet, und selbst, wer da zu viel quarzt oder mit dem Handy telefoniert, muss schon mal mit missbilligenden Blicken von Gästen und Personal rechnen.

Zu den Lieblingsplätzen der Wendland-Wölfe

Hausherr Kenny Kenner bietet zudem geführte Wanderungen in den Göhrde-Wald an. Die sind durchaus ein eindrückliches Erlebnis, denn Kenner weiß, wo unterm Laub die Überreste alter Siedlungen liegen, an welchen Wasserlöchern Rehböcke und Damhirsche abends ihren Durst stillen, wo sich Fuchs und Hase später gute Nacht sagen und wo die Wölfe ihre sogenannten Rendezvous-Plätze haben. An diesen versteckten Orten bringen die Eltern der beiden im Wendland ansässigen Wolfsrudel ihren Jungen das Jagen bei.