: Familienzwist nach dem Mauerfall
DEBÜT Nach der Wiedervereinigung geht die Entzweiung erst richtig los: Katrin Seglitz erzählt von großer Geschichte – Teilung, Trennung, Bruderkrieg! – und rettet dabei einen lakonischen Witz. „Der Bienenkönig“
Es beginnt ein bisschen wuchtig, weil ja manchmal auch die Geschichte wuchtig ist. Daran scheitern manche Romane: dieser zum Glück nicht, weil er das Pathos des Anfangs schnell verlässt. Ganz sicher liegt es auch daran, dass seit 1989 nun zwanzig Jahre ins Land gegangen sind und dass Literatur Zeit braucht, die sich die 1960 geborene Autorin in ihrem Debüt meistens auch lässt.
Erzählt wird auf knapp 180 Seiten die Geschichte einer Familie, deren einer Teil in der Bundesrepublik und deren anderer, größerer in der DDR lebt, bis das Jahr 1989 und die Folgen tief ins Gefüge der Familie und vor allem ins Verhältnis der beiden Brüder Walter und Richard eingreifen. Walter ist Flugzeugingenieur und in seiner Freizeit Imker. Daher der Titel des Romans, der sich aber auch aus der Tatsache speist, dass der Text eine wabenförmige Struktur hat, durch die nach und nach das Bild der Familie zusammengesetzt wird. Sein Bruder Richard ist 1953, nach dem 17. Juni, im Westen geblieben und hat dort geheiratet, seine Tochter Kornelia ist die Erzählerin dieses Buches. Während der Jahrzehnte der deutschen Teilung besuchen die Westler die Ostler regelmäßig, man versteht sich gut, man findet auch eine Wärme dort, die es im Westen vielleicht nicht gibt, und erst mit der Wiedervereinigung beginnt die Entzweiung. Vielleicht hat sie auch schon vorher begonnen und tritt nun lediglich zutage.
Man könnte nun sagen, dass das ja nichts Originelles ist, sondern eine nach 1989 massenhaft gemachte Erfahrung. Aber die Frage ist, wie und ob man das in Literatur verwandeln kann. Katrin Seglitz gelingt das größtenteils, mit der Einschränkung, dass sie immer da, wo „historische Daten“ abgerufen werden, hinter ihren Möglichkeiten zurückbleibt. Paradebeispiele dafür sind die Schilderung des 17. Juni und der Sommer- und Herbstmonate 1989, beides im Zeitraffer. Das liest sich dann so, als habe die Autorin aus Zeitungsartikeln und eidgenössischen Büchern ein Kompendium für den historischen Nachhilfeunterricht zusammengestellt, und man fragt sich, was das alles mit ihren Figuren, die sie beeindruckend nach und nach eingeführt hat, zu tun hat. Hier trifft buchstäblich zu, was Walter an einer Stelle ironisch sagt: „Statisten in einem Historienschinken, das sind wir alle.“
Damit sei aber schon genug gemeckert. Familienromane haben oft etwas Umständliches; dieser hier hat eher Tempo und zieht vorwärts, auch wenn er aus vielen Rückblenden besteht. Die Erzählzeit wechselt zwischen Präsens und Imperfekt, und anfangs mag dieser Wechsel etwas schematisch erscheinen, bis man begreift, dass dieser Wechsel gerade keinem Schema folgt, sondern sich den jeweiligen Geschichten anpasst, die zu erzählen sind. Darin besteht die große Kunst von Katrin Seglitz, dass die Geschichten, die der Reflex von „großer Geschichte“ sind, keine Patina ansetzen. Aus dem Roman ist eben kein Historienschinken geworden.
Natürlich liegt das vor allem daran, dass sie über ihre sprachlichen Mittel ebenso wie über die angemessenen Erzähltechniken souverän verfügt. Wenn der Roman auch eine Ich-Erzählerin hat, ist diese doch eher ein Medium und keineswegs die Protagonistin. Seglitz’ Buch ist durchaus polyphon und multiperspektivisch, außerdem ist es zunehmend spannend. Im sich steigernden Zwist der beiden Brüder geht es natürlich ums Geld, ums Haus, ums Erbe, und die Leistung der Autorin zeigt sich gerade darin, dass wir beim Lesen nicht abwinken mit dem Gestus „Das kennen wir doch alles schon“. Und bei aller Schwere, die ihm thematisch innewohnt (Teilung, Trennung, Bruderkrieg!), hat der Roman auch einen lakonischen Witz: „Vieles ist problematisch im Westen. Aber die Baumärkte sind gut. Die Baumärkte sind das Beste am Westen.“
Darüber wäre doch mal ernsthaft nachzudenken. JOCHEN
SCHIMMANG
■ Katrin Seglitz: „Der Bienenkönig“. Weissbooks, Frankfurt a. M. 2009, 173 S., 18,80 Euro