: Wen will Frau Kraft?
NrW Im einwohnerstärksten Bundesland dürfte die neue Regierungschefin die alte sein: Ihre Wiederwahl scheint sicher. Mit wem kann und wird die SPD dann regieren?
AUS DÜSSELDORF Andreas Wyputta
„Die Lage ist ernst.“ So überschrieb Sylvia Löhrmann eine Brandmail, die sie bereits vor Wochen an alle Parteimitglieder der Grünen schickte. „Der schillernde Kanzlerkandidat Martin Schulz“ verleihe der NRW-SPD „plötzlich Glamour“, die Sympathiewerte des liberalen Parteichefs Christian Lindner spülten „die FDP in NRW nach oben“, analysierte die Vize-Regierungschefin, Schulministerin und grüne Spitzenkandidatin die Situation vor der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen am 14. Mai. Löhrmann hat guten Grund zur Sorge: Ihre Grünen sind in NRW abgestürzt. Wie im Bund dümpelt die Partei irgendwo zwischen 6 und 7 Prozent. Schon seit Längerem denkt die Spitzen-Grüne daher laut über eine Neuauflage der – von den Linken tolerierten – rot-grünen Minderheitsregierung nach, wie sie in Nordrhein-Westfalen von 2010 bis 2012 an der Macht war. Das Experiment habe ihrer Partei, die 2010 nur in drei Ländern mitentscheiden durfte, auch bundesweit nicht geschadet, sagte sie kürzlich in der Landeshauptstadt Düsseldorf. Heute regierten die Grünen in elf Bundesländern: „Und dieser Auftrieb für die Grünen ist entstanden, weil ich die Minderheitsregierung wollte.“
Umso optimistischer geben sich derweil die Sozialdemokraten: „Super“ laufe der Wahlkampf ihrer Regierungschefin Hannelore Kraft, „hoch motiviert“ seien die Genossen an der Basis, erklären sie immer wieder. Der „Schulz-Effekt“ ist an Rhein und Ruhr weiter spürbar. Umfragen sehen die SPD zwischen 36 und 40 Prozent – mit Abstand als stärkste Partei.
In Nordrhein-Westfalen mit seinen knapp 18 Millionen EinwohnerInnen dürfte die nächste Ministerpräsidentin also mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit erneut Hannelore Kraft heißen. Dabei ist deren denkwürdiger Auftritt vor der Landespressekonferenz, bei dem sie nicht sagen konnte, was sie in ihrer verbleibenden Regierungszeit noch vorhabe, gerade erst ein Jahr her: „Geben Sie mir eine Minute“, stammelte sie im April 2016 auf die Frage nach ihren großen Linien. „Ich finde es nicht, tut mir leid“, meinte sie dann. „Wir können Ihnen gern nachliefern, was noch an großen Themen dabei ist.“
Bei den WählerInnen geschadet hat ihr der Blackout nicht. Gerade im Ruhrgebiet kommt die Sozialdemokratin, die wie Kanzlerkandidat Schulz vor allem mit dem Eindruck sozialer Gerechtigkeit punkten will, mit ihrer direkten Art gut an. Schon heute profitiert Kraft vom Image der Wahlgewinnerin.
Allerdings bleibt völlig unklar, mit wem sie nach dem 14. Mai eine Regierung bilden will – und kann. „Über mögliche Koalitionen werde ich mich in den letzten Wochen vor der Wahl nicht mehr auslassen“: Mehr sagt die SPD-Spitzenkandidatin dazu nicht.
Mag die Grüne Löhrmann offiziell auch betonen, in Nordrhein-Westfalen gebe es „keine Wechselstimmung“: Eine Neuauflage der aktuell regierenden rot-grünen Koalition gilt als beinahe undenkbar. Die Grünen scheinen dafür einfach zu schwach.
Kanzlerkandidat Schulz oder „der Bundestrend“ sind dafür keineswegs allein verantwortlich: Die Misere der NRW-Grünen ist auch hausgemacht. Als Schulministerin steht Löhrmann selbst in heftiger Kritik von Eltern und Lehrern: Die werfen ihr vor, bei der Integration und Inklusion von Kindern mit Handicap in den regulären Unterricht versagt zu haben – es fehle schlicht Geld und Personal. Die Erfolge des grünen Umweltministers Johannes Remmel dringen dagegen nicht durch (siehe unten). Und Gesundheitsministerin Barbara Steffens besetzt mit Krankenhausschließungen, dem Bau forensischer Kliniken und der – durch das Prostitutionsgesetz des Bundes vorgegebenen – Kondompflicht für Freier nicht gerade grüne Gewinnerthemen.
Auch eine rot-rot-grüne Zusammenarbeit ist wenig wahrscheinlich. Hannelore Kraft hat immer wieder deutlich gemacht, wie wenig sie von der Linkspartei hält: Die sei „nicht regierungsfähig und nicht regierungswillig“, lautet ihr Mantra.
Selbst für Löhrmanns Idee einer Minderheitsregierung könnte es eng werden: In Umfragen liegen die Linken bei gerade 5 Prozent. Der Partei, die nach heftigen Flügelkämpfen 2012 mit einem Ergebnis von nur 2,5 Prozent aus dem Landtag flog, fehlt die parlamentarische Bühne. In den Medien sind die Linken kaum präsent, wenig bekannt ist deshalb auch ihr Spitzenteam aus Özlem Demirel und Christian Leye.
Trotz der AfD, deren Einzug in den Landtag mit 7 bis 10 Prozent wahrscheinlich ist, hat Kraft weitere Koalitionsoptionen: Beinahe im Alleingang hat der FDP-Chef Christian Lindner seine Partei inzwischen auf 10 Prozent gewuchtet. Dabei macht Lindner, der in Düsseldorf als Landtagsfraktionsvorsitzender amtiert, seit Monaten klar, bei einem Wiedereinzug der Liberalen in den Bundestag nach Berlin verschwinden zu wollen.
Mal sehen, was sie anbietet
Auch wenn Lindner zudem betont, die Union stehe der FDP „nach wie vor näher“, ist eine sozialliberale Koalition am Rhein denkbar. Wenn Hannelore Kraft ein gutes Angebot mache, werde geredet, lässt er durchblicken.
Eine Ampel mit den Grünen hat der FDP-Chef dagegen zumindest für NRW kategorisch ausgeschlossen. Und über eine Regierung mit Nordrhein-Westfalens CDU redet Lindner derzeit kaum. Deren Spitzenkandidat Armin Laschet scheint von der Düsseldorfer Staatskanzlei meilenweit entfernt. Persönlich übel nehmen viele WählerInnen dem CDU-Landtagsfraktionschef offenbar seinen negativen Wahlkampf: Seit Monaten predigt Laschet, Nordrhein-Westfalen sei Schlusslicht, habe die höchste Arbeitslosenquote aller westdeutschen Flächenländer und ein schwaches Wirtschaftswachstum. Vorn liege das Land dagegen bei Kinderarmut, Einbrüchen und Staus. Das Ergebnis: Laschet kann froh sein, wenn seine Christdemokraten ein Ergebnis von 30 Prozent einfahren.
Für Hannelore Kraft gilt dagegen in NRW wie für Martin Schulz im Bund: Eine Große Koalition geht immer.
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