: Das Bächlein schwillt zumwilden Strom
TonträgerDas Splitter Orchester ist ein Qualitätsgarant unter dennichtakademischen Neue-Musik-Ensembles in Berlin – nun arbeiteten sie mit Jazzer George Lewis und Frickler Felix Kubin zusammen
Es knirscht und raschelt, zirpt und blökt ganz gewaltig, und es splittert natürlich auch in der Musik des Berliner Splitter Orchesters. Mehr als 20 Musiker sind in dieser Formation vereinigt, und zusammen bilden sie einen Klangkörper, der mit Streichern, Bläsern, einem präparierten Piano, Synthies, Plattenspieler und allerlei selbst gebasteltem Instrumentarium einen scheinbar endlos fließenden Sound produziert, der mal ruhig vor sich hin plätschert, dann aber wieder anschwellen kann zu einem wilden Strom, der alles mit sich reißt.
Das vor sieben Jahren von diversen Protagonisten der umtriebigen Berliner Echtzeitmusikszene gegründete Orchester hat es innerhalb kurzer Zeit geschafft, eine ziemlich eigenwillige Musiksprache zu entwickeln und sich dabei zwischen allen Stühlen zu bewegen. Mit Begriffen wie Neue Musik und Improv allein kriegt man das Splitter Orchester einfach nicht mehr zu fassen, wenn dieses seine improvisierten Kompositionen vorträgt.
Gleich auf zwei neuen Alben zeigt die Formation nun, wie offen sie auch für Kooperationen ist, womit sie es dem anderen großen Berliner Ensemble der nichtakademischen Neue-Musik-Szene, nämlich Zeitkratzer, gleichtut, das ebenfalls immer wieder den Austausch mit anderen Musikern sucht, um Reibungsflächen zu finden. „Creative Construction Set TM“, die eine der beiden Platten, ist eine Zusammenarbeit mit George Lewis, dem großen Posaunisten und Komponisten aus dem Umfeld der Chicagoer AACM-Szene, in der schon seit Jahrzehnten versucht wird, aus Jazz und Neuer Musik eine neue Klangsprache zu filtern.
Drei – jeweils um die 20 Minuten lange – Grundgerüste hat Lewis für das Berliner Orchester entworfen, in denen dieses gemeinsam mit dem Meister höchstselbst an der Posaune dynamisch anschwillt, vor allem aber ruhige Flächen ausbreitet, auf denen das ganze Geknister und Geraune des Ensembles aber sowieso viel spannungsgeladener wirkt als bei den lauten Passagen.
Split mit Splitter
Wie die Aufnahmen auf „Creative Construction Set TM“ stammen auch die, die auf dem Album „Shine On You Crazy Diagram“ zu hören sind, aus dem Jahr 2015. Hier handelt es sich nur bedingt um eine weitere Kooperation mit einem Ensemble-Fremden, in diesem Falle Felix Kubin, sondern um eine Art Remix-Projekt. Auf dem als Vinyl veröffentlichten Album sind auf der einen Seite zwei Stücke des Splitter Orchesters zu hören – „Diagram 1“ und „Diagram 2“ –, die auf der anderen Seite von Kubin neu interpretiert werden. Eine Split-LP als. Das Wortspiel mit Split und Splitter hat dem Humoristen Kubin sicherlich gefallen.
„Lückenschere“ und „Lichtsplitter“ nennt dieser seine Aneignungen des Splitter-Materials, und sowenig diese Titel mit denen des Berliner Ensembles gemeinsam haben, so schwer fällt es dem Hörer, wirklich direkte Verbindungen zwischen A- und B-Seite herzustellen. Das Geschabe des Orchesters tritt bei Kubins Klangumwandlungen eher in den Hintergrund, stattdessen schiebt sich ein elektronischer Puls nach vorne, ohne dass man sagen könnte, Kubin habe das Splitter Ochester lediglich elektronisch verfremdet.
Das Ganze ist eine spielerische Augenzwinkerei, die bereits mit dem Plattentitel „Shine On You Crazy Diagram“ beginnt, einer Referenz an Pink Floyd. Neue Musik, verkauzte Elektronik, Pink Floyd, Späßchen, es kommt so einiges zusammen auf dieser Platte.
Andreas Hartmann
George Lewis & Splitter Orchester: „Creative Construction Set TM“ (Mikroton Recordings)
Splitter Orchester/Felix Kubin: „Shine On You Crazy Diagram“ (Gagarin Records)
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen