Seid nett zu Lidl!

Große Regionalzeitung kündigt Redakteurin wegen eines einzigen Beitrags fristlos. Denn der mächtige Discounter kam darin nicht wirklich gut weg

VON STEFFEN GRIMBERG

Der Lidl-Konzern müsste eigentlich an schlechte Presse gewöhnt sein: Immer wieder kritisierte Arbeitsbedingungen, Schikanen gegen Mitarbeiter, die ihre Rechte auf Betriebsräte durchsetzen wollen (taz vom 24. 9.) – die Liste ist lang. Andererseits sorgt der Discounter als verlässlicher Anzeigenkunde („Lidl ist billig“) vor allem bei Regionalzeitungen für gute Werbeeinnahmen. Schlechte Presse ist ungerecht, denkt man daher bei Lidl.

Lidl-Schwarzbuch

Vor allem dann, wenn man sich ausnahmsweise mal offen zeigt und eine Journalistin sogar ins Zentrallager Bietigheim (Baden-Württemberg) einlädt. Die beschreibt dann Ende August in der Rastatter Lokalausgabe der Badischen Neuesten Nachrichten (BNN) ihren Besuch, schildert Arbeitsbedingungen im Kühlhaus („Handarbeit bei bis zu 24 Grad minus“) sowie die hohe Fluktuation unter den Mitarbeitern („20 Beschäftigte haben seit Anfang des Jahres die meist befristeten Arbeitsplätze gewechselt“).

Und wurde daraufhin von den BNN fristlos gekündigt. Denn sie hatte zwar den im Bietigheimer Zentrallager bestehenden Betriebsrat zitiert, der sich gegen „die anhaltende Kritik“ an den Arbeitsbedingungen wendet („Bei uns ist das nicht so schlimm“). Aber auch das „Schwarzbuch Lidl“ der Gewerkschaft Ver.di, in dem Lidl gar nicht gut wegkommt.

Und das war offenbar zu viel: „Lidl hat unsere Geschäftsführung einbestellt“, sagt BNN-Betriebsrat Ralf Kattwinkel – und dann mit dem Hinweis auf die zweimal pro Woche geschalteten 1[ 1]/4-seitigen Anzeigen Druck gemacht. „Da ist man offensichtlich zu Kreuze gekrochen.“

Denn die Werbeeinnahmen der Presse bleiben weiter mau, der Einfluss vor allem großer Anzeigenkunden steigt entsprechend. Bei den BNN, dem traditionell konservativen Blatt mit Hauptsitz Karlsruhe, bröckelt zudem die Auflage – seit 2003 ist die 150.000-Marke unterschritten.

Die Kündigung erfolgte nach Betriebsratsangaben offiziell aus Tendenzgründen, also weil die Journalistin gegen die vom Verleger vorgegebene Blattlinie verstoßen habe. Schon das ist absurd. Denn die BNN hatten unter anderem im Wirtschaftsteil bereits früher über das „Schwarzbuch Lidl“ berichtet. „Völlig grotesk“ findet auch Thomas Schelberg, Landesgeschäftsführer der Journalistengewerkschaft DJV, die Situation. „Wenn das einmal einreißt, ist die journalistische Unabhängigkeit dahin.“ Denn „hier ist die Pressefreiheit nicht durch den Staat gefährdet – sondern durch die Verleger selbst.“

Besitzer der BNN ist die Verlegerfamilie Baur. Nun hat jede Zeitung neben dem Verleger auch noch eine Chefredaktion, die sich derartig massive Eingriffe in den journalistischen Betrieb verbitten könnte. Doch auch das gestaltet sich in Karlsruhe mehr als schwierig. Denn der Chefredakteur wollte nicht einmal mit dem SWR-Hörfunk reden, der bislang als Einziger über den Rausschmiss berichtet hat. Das wiederum dürfte damit zusammenhängen, dass BNN-Chefredakteur Klaus Michael Willimek im Mai dieses Jahres praktischerweise auch zum Herausgeber und Geschäftsführer des Blattes gekürt wurde.

Vater und Sohn

Und nicht nur das: Willimeks Onkel, der BNN-Verleger Hans Wilhelm Baur, hatte ihn kurz zuvor außerdem noch adoptiert, um die Dynastie zu sichern. Seitdem heißt Klaus Michael Willimek – Klaus Michael Baur.