Die Macht der Verschleierung
KUNST Erst kaschiert werden Gewalt und Erotik in der Malerei von Sibylle Springer sinnlich erfahrbar. Nebenbei rettet sie längst vergessene Klassiker
von Jan Zier
Am Anfang ist alles mausgrau. Leicht verwaschen, irgendwie wolkig und sehr plastisch strahlt das monochrome Bild dich schon aus der Ferne an. Es ist ein warmes Grau, das einen am Ende des langen Flures der Gesellschaft für Aktuelle Kunst (GAK) empfängt. Die Wand dahinter, ja: vielleicht ist sie etwas zu grellrosa. Umso dekorativer wirkt die „Glut“! Trittst du näher – viel näher – und wartest einen Moment oder zwei: Dann erst trifft dich die ganze Wucht dieses Bildes. Hinter dem grauen Schleier tritt der heilige Bartholomäus hervor. Beinahe entspannt liegt er da, nur leicht gefesselt. Und wird gehäutet. Bei lebendigem Leib. Wahnsinn.
Die Bild ist natürlich ganz alt, eigentlich, und von Stefan Lochner (1410-51) – es hängt im Frankfurter Städel Museum. Mit liebevoller Akkuratesse hat der Maler damals das ganze unmenschliche Martyrium festgehalten, dabei gleichzeitig die schiere, rohe Gewalt in religiöser Verzückung verharmlost. Am Original könntest du jetzt schulterzuckend vorbeigehen, zum nächsten Ölschinken schreiten. Und denken: Das ist doch echt alles lange her, vorbei.
Bei den Werken von Sibylle Springer geht das nicht. Du musst dich auf sie einlassen. Dich zu ihnen verhalten. Genau deshalb sind sie so stark. Erst die Verschleierung offenbart das ganze Grauen: Die Gleichgültigkeit, mit der hier ein Mensch hingerichtet wird, aber auch die eigene Faszination für die Gewalt und die Obszönität ihrer Darstellung. „Das ist so deprimierend – das macht mich fertig“, sagt Springer, die schon Gewalt im „Tatort“ verabscheut. Es ist schwer zu verstehen und gerade darum für sie so attraktiv.
Nebenbei entlarvt die 1975 geborene, wunderbar unprätentiöse Künstlerin den immer wieder reproduzierten Satz, die Malerei sei „tot“, als nerviges Gerede. Ganz ohne dass einem das, wie sonst oft bei zeitgenössischer Kunst, erst lange erklärt werden müsste.
Springer macht das übrigens schon lange: Sie reproduziert Bilder in kühler Art und Weise, um ihnen im neuen Format, mit Schichten von Acryl, ihre Wirkung und Intensität zurückzugeben. Früher waren das meist Fotos, heute sind es Klassiker der Kunstgeschichte. Oft geht es dabei um Gewalt, manchmal um Erotik oder Intimität. Springer sammelt solche Darstellungen – Inspirationen – an einer riesigen Zettelwand in ihrem Atelier, die sie der Einfachheit halber gleich mit in die Ausstellung gebracht hat.
Dass die GAK hier auf den üblichen White Cube verzichtet hat, tut den Bildern gut
2005 hat die Bremer Hochschule für Künste Sibylle Springer als Meisterschülerin entlassen, erste Einzelausstellungen in Bremen, Bremerhaven und Hamburg folgen, dazu ein paar Stipendien. Heute hat sie ein Atelier in Bremen, eines in Berlin – und kann von ihrer Kunst leben. Das ist nicht selbstverständlich: In Bremen werden gute KünstlerInnen zwar gefördert, solange sie jung und unbekannt sind, aber eher selten gekauft. Schon gar nicht, wenn sie teurer werden und, wie heute bei Sibylle Springer, schon kleinformatige Arbeiten vierstellige Summen kosten sollen.
„Gift“ heißt ihre Ausstellung in der Bremer GAK, einem Ort, der sonst nur selten regionale, dafür hierzulande unbekannte internationale KünstlerInnen ausstellt. Dass die GAK hier auf den üblichen sterilen White Cube verzichtet hat, tut den Bildern ungemein gut. „Gift“ ist natürlich zweideutig gemeint, das gleichnamige Werk zeigt nur ein liebliches Blumenstillleben. Bei Springer bekommt es durch siechende Blätter und Brandflecken morbide Töne und den Beigeschmack des Toxischen.
Intensiver sind Springers Arbeiten, wenn es um Menschen geht. So wie in „painkiller“, einer großen, beinahe quadratischen Arbeit in sanften Beigetönen und abgesetzten, weißen Flecken, die ein wenig in den Augen schmerzen. „Es ist mein Lieblingsbild“, sagt Springer. Erst auf den dritten Blick zeigt sich hügelige Landschaft, ein Mann mit nacktem Oberkörper und sanftem, etwas verklärtem Blick, der an einem Baum lehnt. Und gerade von Pfeilen durchbohrt wird. Wieder liegen Grausamkeit und Erlösung nahe beieinander: Es ist der heilige Sebastian und das Original von 1475. Immer wieder bricht das Gesamtbild weg, es zerfällt vor den Augen des Betrachters, um im nächsten Moment wieder neu zu entstehen. „Man will etwas greifen, haben“ sagt Springer – um dann zu erkennen: Das was einem da so attraktiv erscheint, ist ein Mord und offenbart Schaulust. Zugleich ist das alte Werk in Zeiten des „Islamischen Staates“ und medial omnipräsenter Gewaltdarstellungen von „schmerzlicher Aktualität“, wie Springer sagt. Seine grelle Farbigkeit bekommt es erst in unserem Kopf. Aber nur dann, wenn es mit der Zeit gelingt, das Bild hinter der Oberfläche zu entschlüsseln. Andernfalls versänke es sofort in abstrakter, monochromer Langeweile.
Bis 30. April: Gesellschaft für Aktuelle Kunst Bremen