Doppelstunde Datenschutz

Bildung Ein Schulfach Medien? Die Idee gab es schon öfter. Mit der „Fake News“-Debatte kommt sie wieder auf. Die Umsetzung ist hingegen längst noch nicht in Sicht

Projekt „Safer Internet Day“ an einem Gymnasium in Kiel. Genügt das? Foto: Seeberg/Caro

von Peter Weissenburger

Ende Februar machte eine Meldung der Evangelischen Presseagentur die Runde, in der es hieß, an Thüringer Grundschulen werde künftig „das Fach Medienkunde“ unterrichtet.

Hoppla. Heißt das etwa, dass Kinder der ersten bis vierten Klassen künftig morgens zwischen Schreiben und Rechnen eine Stunde googeln und facebooken haben werden?

Heißt es nicht, die Meldung war irreführend. Thüringen hatte nicht etwa ein neues Schulfach erfunden. Man hatte lediglich einen fächerübergreifenden Kursplan, den es zuvor bereits für weiterführende Schulen gab, auf die Grundschule ausgeweitet. Dabei ist die Idee von einem eigenen Schulfach „Medien“, neben Deutsch, Englisch und Bio, weder abwegig noch neu.

Im Jahr 2011 brachte sie die frisch gewählte grün-rote Regierung Baden-Württembergs ins Spiel. Die damalige Kultusministerin Gabriele Warminski-Leitheußer (SPD) befand die fächerübergreifende Vermittlung von Medienkompetenz für nicht ausreichend und sprach sich für ein eigenständiges Schulfach aus. 2012 regte auch in Bayern der Arbeitskreis für Netzpolitik der CSU ein entsprechendes Fach an mit dem Hinweis, der Umgang mit Medien müsse „neben Lesen, Schreiben und Rechnen“ eine „vierte Grundkompetenz“ werden.

2014 machte die saarländische Piratenfraktion denselben Vorschlag und verwies auf die schlechten Kompetenzen deutscher SchülerInnen im Umgang mit neuen Medien im europäischen Vergleich. Die saarländische Regierung lehnte ab mit der Begründung, die be­stehenden Lehrpläne seien ausreichend. Damals ging es darum, SchülerInnen einerseits für den Arbeitsmarkt vorzubereiten, in dem Medienkompetenz immer zentraler wird, und sie andererseits für Datenschutzprobleme bei den sozialen Netzwerken zu sensibilisieren.

Spätestens seit letztem Jahr ist eine neue Dimension dazugekommen: die Informationsbeschaffung. Die „Fake News“-Debatte zeigt: Regulatorische Maßnahmen wie Factchecking-Projekte sind der Masse der Gerüchte und Behauptungen im Netz nicht gewachsen. Vor Manipulationen durch Falschinformationen schützt letztlich nur eine kritische Haltung der NutzerInnen. Also doch früh anfangen? Mit einem eigenständigen Schulfach? Medien nutzen lernen, so wie man lesen und rechnen lernt?

In der Praxis ist die Idee von einem Schulfach Medien weiterhin nicht umgesetzt. Die Rahmenlehrpläne der Länder setzen stattdessen auf Querschnitt. Thüringen etwa definiert fünf Lernbereiche mit Titeln wie „Bedienen und Anwenden“ oder „Analysieren und Reflektieren“, die fächerübergreifend eingebracht werden können. Wo genau und in welchem Umfang, bleibt der Schule überlassen. Die Fortbildung der Lehrkräfte erfolgt freiwillig.

Auch in Bayern setzt man lieber auf Vorbildfunktion als auf Vorschrift: Hier konnten sich bis 2016 Schulen, die den Bereich ausbauen wollten, als „Referenzschulen für Medienbildung“ bewerben. Knapp 150 Schulen mit diesem Titel soll es nach Ende des Projekts in Bayern geben, an ihnen sollen sich andere Schulen orientieren können. In NRW wiederum können SchülerInnen der Klassen eins bis sechs einen sogenannten Medienpass erwerben, eine Art Fahrradführerschein für das Leben und Arbeiten im Netz.

Medienbildung ja, Schulfach: Fehlanzeige. Beim Kultusministerium Baden-Württemberg heißt es dazu auf Nachfrage: Phänomene wie Hatespeech und Fake News zeigten, „dass Medienbildung nicht solitär in einem Fach behandelt werden kann, sondern ganz stark auch in den Fächern Geschichte, Gemeinschaftskunde, Politik verortet ist“. Auch in BaWü hat man sich in der Zwischenzeit gegen das Schulfach und für die Querschnittkompetenz entschieden.

Und tatsächlich sind „Medien“ natürlich zunächst kein Thema an sich, sondern eine Art und Weise, sich Themen zu nähern. Daher kann Medienkompetenz weder im Physik-, noch im Erdkundeunterricht unerwähnt bleiben. Auf der anderen Seite besteht beim Querschnitt die Gefahr, dass die Medienkompetenz in der Lehrpraxis entfällt – weil FachlehrerInnen sich nicht zuständig fühlen, oder das Thema nicht in ihre ohnehin schon vollgepackten Lehrpläne zwängen möchten. Auch deshalb, weil nicht alle die freiwilligen Fortbildungsangebote in Anspruch nehmen.

Stundenpläne müssten umgeschrieben werden – zulasten traditioneller Fächer. Aber was kann weg?

Aus diesem Grund hält auch die Datenschutzbeauftragte der Bundesregierung, Andrea Voßhoff (CDU), ein eigenes Schulfach weiterhin für die bessere Idee. Der taz sagte Voßhoff, Grundwissen wie der sorgfältige Umgang mit sensiblen personenbezogenen Daten oder die möglichen Folgen der Veröffentlichung intimer Informationen in sozialen Netzwerken ließen sich „nicht als Teil einer Biologie- oder Deutschstunde vermitteln“. Die komplexen Fragen des Datenschutzes müssten „von entsprechend geschulten Personen“ behandelt werden. Das aber würde ein großformatigeres Umdenken erfordern.

Stundenpläne müssten umgeschrieben werden – zulasten traditioneller Fächer, versteht sich. Was müsste den neuen Medien weichen? Deutsch, Kunst, Religion? Lehrende müssten verpflichtend weitergebildet werden und ein Lehramtsstudiengang Medienkunde müsste natürlich auch angeboten werden. Und all das, während sich die Technik unaufhaltsam weiterentwickelt.

Hinzu kommt: Ein neues Schulfach in Deutschland einzuführen haben schon andere versucht. Wirtschaft, Ernährung, um nur zwei jüngere Vorschläge zu nennen. Beides wichtige, grundlegende Dinge – aber dafür gleich das reformresistente deutsche Schulsystem umschmeißen? Lieber nicht.

Fragt sich nur, ob auf diese Weise je ein Bewusstsein davon entsteht, dass die Nutzung von Medien etwas ist, was man nicht einfach tut, sondern etwas, was man können und daher auch lernen muss.