: Das Klicken der Digitalkameras
Jungtier Der Zoo in Bremerhaven hat bereits, wovon Hannover nach träumt: ein Eisbärenjunges. Die Besucherzahlen sind seitdem um 24 Prozent gestiegen
Klick. Klick. Klick. Hektisch drücken die Besucher des Zoos am Meer in Bremerhaven die Auslöseknöpfe ihrer Digitalkameras. Die junge Eisbärin Lili tapst neugierig durch das Gehege, und das verzückt die Zoogäste. Es ist gar nicht so einfach, ein Bild zu erhaschen, auf dem das Eisbärenkind und seine Mutter Valeska beide ihre Köpfe in Richtung Kamera drehen. Während die Eisbärenmutter träge inmitten der Kunstfelsen-Landschaft liegt, läuft Lili aufgeweckt umher.
„Wow. Guck mal, Eisbären!“, ruft ein Kind und patscht mit seinen Händen gegen die Panoramascheiben des Eisbärengeheges. „Urgh, urgh“, schreit ein Mann, der die Hände über den Kopf streckt. Das soll wohl eine Imitation des Brüllens von Valeska sein. Die drei Kinder, die mit ihm den Zoo besuchen, beeindruckt das wenig, gebannt schauen sie zu den Eisbären.
Auch die Raubtiere reagieren nicht auf die Rufe und Bewegungen der Besucher. Valeska liegt weiter auf dem Felsen und Lili tollt zu den orangenen Pylonen, die neben einem Baumstamm am Rande des großen Wassergeheges liegen. Sie steckt ihren Kopf in das Verkehrshütchen und rollt es über die Steine. Das sieht sehr niedlich aus.
Dabei ist Lili seit ihrer Geburt am 11. Dezember 2015 ordentlich gewachsen, über 100 Kilogramm wiegt das Eisbärenmädchen mittlerweile. Viel fehlt nicht mehr, dann ist sie genauso groß wie ihre Mutter.
Die Eisbären sind eine Hauptattraktion des Bremerhavener Zoos. Auf dem Flyer, den die Besucher am Eingang ausgehändigt bekommen, prangt ein Eisbär, auch auf dem Logo des Zoos findet sich einer. In der Zooschule, in der Schulklassen unterrichtet werden können, gibt es Plüscheisbären. Daneben hängen Plakate, die über den Klimawandel informieren.
Das 1.600 Quadratmeter große Eisbärengehege liegt zu Beginn des Rundgangs und kann über drei verschieden hohe Ebenen eingesehen werden. Besucher, denen das nicht reicht, können das Geschehen im Gehege über Bildschirme verfolgen. Eine der Kameras erlaubt sogar eine Steuerung durch die Besucher – dank Zoom ist Lili ganz nah.
Der Zoo macht mit Lili Werbung, seit sie geboren ist. Besucher konnten sie schon als Baby in der Wurfhöhle sehen, wo sie mit ihrer Mutter lag, denn auch dort war eine Kamera installiert. Um einen Namen zu finden, rief der Zoo einen Wettbewerb aus. Eine Jury wählte „Lili“ aus 3.600 Namensvorschlägen – wegen des Soldatenliedes „Lili Marleen“, mit dem Lale Andersen berühmt wurde, die ebenfalls aus Bremerhaven kam.
Die anschließende Taufe wurde öffentlichkeitswirksam inszeniert: Ein Taufspruch wurde gesprochen und das Eisbärenbaby und seine Mutter bekamen bunte Torten zu fressen. Die mit Lebensmittelfarbe versetzten Eisschichten erinnern mit ihren Füllungen aus Fisch, Obst und Rindfleisch optisch an Torten, die Menschen essen.
Zum ersten Geburtstag wurde Lili weiter vermenschlicht. Neben einer Torte bekam sie in Geschenkpapier verpackte Leckereien zu fressen. Bilder davon stellte der Zoo ins Internet. Schon bei Lale, Lilis Schwester, die 2013 zur Welt kam und 2015 an einen Zoo in den Niederlanden weitergegeben wurde, hatten sie es in Bremerhaven so gemacht.
„Tierbabys von A bis Z zu vermarkten, ist eine gängige Praxis“, sagt Renate Freericks, Freizeitwissenschaftlerin an der Hochschule Bremen. Zoodirektorin Heike Kück möchte nicht von „Vermarktung“ sprechen, gibt aber zu: „Die Begeisterung insgesamt für das Thema Eisbärennachwuchs ist nicht zu übersehen.“ Durch die Veröffentlichung der Geschichten über Lili habe man gleichzeitig auf die Situation der Eisbären in der Arktis und auf die Klimaerwärmung aufmerksam machen können.
346.000 Besucher zählte der Zoo am Meer 2016. Das sind 24 Prozent mehr als im Vorjahr. Ein direkter Zusammenhang mit dem Eisbärennachwuchs sei nicht eindeutig messbar, sagt die Zoodirektorin. Sie vermute aber, dass das Eisbärenbaby der Grund für den Anstieg sei.
Lili wird spätestens Ende des Jahres Bremerhaven verlassen und in einen anderen Zoo wechseln. „Jungtiere lernen in der Wildbahn circa zwei Jahren von ihren Müttern, dann werden sie vertrieben“, sagt Kück. Das Kindchenschema bedient der Eisbär dann ohnehin nicht mehr.
Die Tierpfleger mögen Lili auch in groß. Einer von ihnen springt gegen die Scheibe, der Eisbär richtet sich auf und macht dasselbe auf seiner Seite des Glases. Ohne die Scheibe wäre es ein ungleicher Bodycheck. „Lili ist cool“, sagt der Pfleger zu seinem Kollegen.
Vanessa Reiber
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