Vor dem EU-Gipfel in Brüssel: Zoff statt Vorfreude
Berlin will keine Rücksicht mehr auf „langsame“ Partner nehmen. Warschau kritisiert dagegen die deutsche Dominanz in der EU.
„Ich bin mit dem derzeitigen Vorbereitungsstand alles andere als zufrieden“, sagte der Staatsminister im Auswärtigen Amt, Michael Roth (SPD), Anfang der Woche in Brüssel. Die Planungen für Rom ließen zu wünschen übrig, wichtige Themen wie Demokratie und Rechtsstaatlichkeit kämen zu kurz.
Das war nicht nur eine Kritik an der italienischen Regierung und der maltesischen Ratspräsidentschaft. Es war auch ein Seitenhieb auf die Regierungen in Ungarn und Polen, die mit dem Rechtsstaat auf Kriegsfuß stehen. Doch die Kritisierten schießen zurück – der Konflikt könnte den Gipfel schwer belasten.
Die polnische Regierung stemmt sich nämlich mit aller Gewalt gegen die geplante Wiederwahl ihres Landsmanns Donald Tusk zum Ratspräsidenten für weitere zweieinhalb Jahre. Tusk sei „der Kandidat Deutschlands“, sagte der Vorsitzende der rechtsnationalen Regierungspartei PiS, Jarosław Kaczyński, in einem Interview. Kaczyński übte darin auch scharfe Kritik an der deutschen Europapolitik. Die EU sei von „deutscher Dominanz“ geprägt, ohne dass Deutschland diese Rolle wirklich ausfüllen könne.
Im Streit um die Wiederwahl von EU-Ratspräsident Donald Tusk hat die polnische Regierung mit der Blockade des gesamten Gipfels der europäischen Staats- und Regierungschefs gedroht. Polen werde die anderen EU-Staaten informieren, "dass der ganze Gipfel gefährdet sein wird", wenn eine Abstimmung über die Personalie erzwungen werde, sagte Außenminister Witold Waszczykowski am Donnerstag im Fernsehsender TVN24. Die rechtsnationale Regierung in Warschau lehnt ein zweite Amtszeit für Tusk kategorisch ab, dessen Partei in Polen der Opposition angehört. (afp)
Tusk hatte im Dezember „Respekt“ gegenüber „verfassungsrechtlichen Prinzipien und Werten“ verlangt. Damals wollte die polnische Regierung die Parlamentsberichterstattung einschränken; zudem hat sie das Verfassungsgericht auf Linie gebracht. Nicht nur Tusk, sondern auch Kommissionschef Jean-Claude Juncker hat deshalb protestiert.
Der Streit dürfte das Abendessen der Staats- und Regierungschefs am Donnerstag überschatten. Zwar hat der polnische Gegenkandidat Jacek Saryusz-Wolski keine Chance. Doch es wäre das erste Mal, dass ein EU-Ratspräsident gegen den Widerstand seines Heimatlands gewählt würde.
Ärger zeichnet sich auch beim zweiten großen Gipfelthema ab, der Zukunft der EU. Denn nicht nur die Bundesregierung ist unzufrieden. Mehrere EU-Länder sind verärgert, weil Kanzlerin Angela Merkel die Debatte über ein Europa der „verschiedenen Geschwindigkeiten“ vorantreibt – sie fühlen sich abgehängt und ausgegrenzt.
Frankreich, Spanien und Italien auf der Überholspur
Kritik kommt nicht nur von den „üblichen Verdächtigen“ in den Visegrád-Staaten. Auch Finnland und Österreich haben Vorbehalte. Sogar die EU-Kommission ist nicht glücklich mit der Zukunftsdebatte. Sie hatte vor einer Woche fünf Szenarien für die Reform der Union vorgelegt, doch in der Diskussion spielen sie kaum eine Rolle.
Nur die dritte Option, bei der Deutschland mit wenigen Partnern vorangehen und „langsame“ Staaten abgehängt werden, findet Merkels Gunst. Bei einem Minigipfel in Versailles hatten sich auch Frankreich, Spanien und Italien für dieses Szenario ausgesprochen. Sie wollen bei Themen wie Euro oder Steuern auf die Überholspur.
Doch wohin die Reise nach dem Brexit, dem EU-Austritt Großbritanniens, gehen soll, konnte auch Merkel nicht sagen. Bis zum Jubiläumsgipfel in Rom bleibt noch viel zu tun. Statt Vorfreude liegt Zoff in der Luft.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen