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: Erbarmungslose Dezimation

„Train to Busan“, Südkorea 2016, 118 Min., Regie: Yeon Sang-Ho ↓

Beim Zombiefilm liegt die Schönheit im Detail; schließlich hat das Genre schon so manche Spielart der Enthirnung probiert. „Train to Busan“ ist ein würdiger Eintrag ins Genre, und zwar aus Südkorea. Er macht aus dem grausigen Umschlag von Leben zu Untod einen wichtigen Punkt. In der ersten Einstellung wird auf der Straße ein Reh überfahren. Platt liegt es für einen Moment auf dem Asphalt. Unter heftigem Knacken jedoch renkt es die gebrochenen Glieder so weit wieder ein, dass der Schein von Leben in den Tierkörper zurückkehrt. Bei den Menschen nimmt es sich noch um einiges schrecklicher aus. Und es passiert, dass der, den man eben noch geliebt hat und der zurückgeliebt hat, von einem tollwütigen ehemaligen Menschen gebissen wird. Der Gebissene erwacht knackend zu blutrünstigem Untod, die Fänge entblößt, der Sprache beraubt mit zischenden, gurgelnden Lauten und will nicht küssen, sondern selbst beißen und fressen.

Nichts ist übrig von Gefühl, Sinn, Sehnen, Angst, Denken und Trauern; nichts ist übrig als der blinde Instinkt, was Mensch ist, sich selbst anzuverwandeln und erfülltes Leben in rasendes und zuckendes Ex-Mensch-Material zu verwandeln. Manches Glied bleibt verrenkt, Hals über Kopf geht die wimmelnde Jagd. In einer der eindrücklichsten Szenen hängt ein zuckender Zombieteppich am Ende des Zugs und wird über die Gleise geschleift.

Ganz ohne allegorische Schicht geht es trotz der Betonung der Materie auch in „Train to Busan“ nicht. Auslöser der rasant um sich greifenden Zombie-Epidemie ist ein der menschlichen Raffgier geschuldetes Umweltverbrechen. Einer der Protagonisten ist überdies ein Hedgefonds-Manager, getrennt von der Frau, der Tochter entfremdet; ein Egoist, der als Mensch schon ziemlich entmenschten Art. Er soll das Zwischenmenschliche wieder lernen, was sich kitschiger und moralischer anhört, als es inmitten von Blut und Gewalt letztlich ist. Auch sonst spielen Beziehungen eine wichtige Rolle: Paare, Liebende oder Freunde, bei denen der eine oder die andere für den Partner das Leben riskiert. Ein ganzes Jugend-Baseballteam ist an Bord. Die Schläger lassen sich im Kampf gegen die Zombies sehr gut gebrauchen, allerdings kennt die Dezima­tionslogik des Genres wenig Erbarmen.

Keine Gefangenen

Gefangene macht „Train to Busan“ wahrlich nicht. In Botschaft wie Ausgestaltung ist der Film nicht subtil, sondern drastisch. Mit großer Freude rottet er die Zombies zusammen und jagt sie von Abteil zu Abteil. Nicht ausschließlich, aber zu großen Teilen spielt der Film in einem fahrenden Zug, was an Bong Joon-hos Meisterwerk „Snowpiercer“ erinnert, zu dem „Train to Busan“ eine um einiges eigensinnigere Variante darstellt. Um Klassenfragen geht es aber hier wie da, Verachtung für die Unterprivilegierten rächt sich brutal. Und die klaustrophobische Enge bekommt der Zombieschlacht gut.

Der Vorwärtsdrang ist gewaltig, Regisseur Yeon Sang-ho gönnt sich, den Jagenden und Gejagten und auch dem Betrachter nur wenige Ruhemomente. Und „Train to Busan“ war in Korea ein Riesenerfolg, mit mehr als elf Millionen Besuchern. Das sind Zahlen, von denen im viel bevölkerungsreicheren Deutschland schon lange keiner mehr träumt.

Regisseur Yeon hatte vor seinem Realfilmdebüt nur Animationsfilme gedreht. Im selben Jahr wie „Train to Busan“ war ein animiertes Prequel, „Seoul Station“, entstanden, das in Deutschland zwar in verkehrter zeitlicher Reihenfolge, aber immerhin überhaupt Ende März auf DVD veröffentlicht wird.

Ekkehard Knörer

Die DVD ist ab ca. 15 Euro im Handel erhältlich