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Anwohner gegen VW-Schlacke

ASCHE VOLL Eine Bürgerinitiative wehrt sich gegen die Erweiterung einer Deponie in Südniedersachsen. Sie verlangt, etwaigen Giftbelastungen auf den Grund zu gehen

von Reimar Paul

Seit knapp 30 Jahren fühlen sich Anwohner einer Asche-Deponie bei Lüthorst im südniedersächsischen Landkreis Northeim belästigt. Jetzt will die Betreiberfirma, die Gesellschaft für die Aufbereitung und Verwertung von Reststoffen (GfR), die Anlage noch erweitern. Statt wie bislang rund 2,4 Millionen Tonnen Asche, Schlacke und andere Verbrennungsreste würde im Fall einer Genehmigung künftig die doppelte Menge auf der Deponie lagern. Die Bürgerini­tiative (BI) Wangelnstedt/Lüthorst kämpft dagegen.

Rund 30 Betriebe bringen ihre Rückstände nach Lüthorst. Zur Kundschaft zählen Betreiber von Kohlekraftwerken in Hannover, Braunschweig und Wolfsburg. Mit Abstand größter Anlieferer ist das VW-Kraftwerk Wolfsburg-West. In einigen Hundert Metern Abstand zur Deponie liegt ein Wohngebiet der Gemeinde Wangelnstedt.

In der Frühphase der Deponie seien teilweise ohne entsprechende Genehmigungen und ohne die Öffentlichkeit zu informieren auch Lacke, alte Reifen, Tierkadaver und Altöl auf der Deponie entsorgt worden, erzählt ein Mitglied der Bürgerinitiative. Seinen Namen will der Mann, der zum Treffen mit der taz einen ganzen Stapel teils vertraulicher Akten mitgebracht hat, nicht in der Zeitung sehen, aus Angst vor Repressalien, wie er sagt.

Die unsachgemäße Lagerung mindestens eines 400-Liter-Fasses mit altem Öl sei dokumentiert. Insbesondere die unteren Schichten der Deponie könnten mit Giften belastet sein, mutmaßt die BI. Ein von der Initiative beauftragter Gutachter fand auf einem Acker am Dorfrand krebserregende Dioxine, die möglicherweise von der Deponie stammen.

Damit Sünden der Vergangenheit vollends aufgedeckt werden können, fordert die Initiative sogenannte Kernbohrungen bis auf die Sohle der Deponie. Das verweigert bislang aber die GfR.

„Wenn die derzeitige Deponierungspraxis unzureichend ist und viele Fragen unbeantwortet lässt, wie kann dann ernsthaft über eine Erweiterung nachgedacht werden“, empört sich der Mann von der BI. Es sei nicht hinzunehmen, „dass im Hightech-Industrieland Deutschland Abfallentsorgungsverfahren zur Anwendung kommen, wie sie im Mittelalter üblich waren“.

Die Initiative verlangt einen Anlieferungsstopp weiterer Aschen sowie die Einstellung des Betriebs bis zur Klärung der Fragen. Bis dahin müsse auch das Genehmigungsverfahren ausgesetzt werden. Unterstützung kommt von den Landkreisen Northeim und Holzminden. Beide Kommunen erklärten, dass eine Erweiterung der Deponie mit den Zielen der Raumordnung und des Naturschutzes nicht zu vereinbaren sei.

Auch Niedersachsens früherer Innenminister Uwe Schünemann (CDU), jetzt Hinterbänkler im Landtag, bezeichnet die in Aussicht gestellte Genehmigung als „völlig unverständlich“. Schon jetzt sei die ursprüngliche Grube verfüllt und eine Anhöhe entstanden. „Eine weitere Aufschüttung würde die Angriffsfläche für den Wind erheblich vergrößern und die Belastungen durch Staub bzw. Feinstaub noch erhöhen“, schrieb Schünemann an Ministerpräsident Stephan Weil (SPD).

Betreiber und Behörden halten die Vorwürfe für überzogen. Im Rahmen des Verfahrens habe sie mehrere Gutachten in Auftrag gegeben, teilte die GfR mit. Ergebnis: Die Erweiterung bedeute keine Gefährdung für Natur und Umwelt. Die Dioxinkonzentration liege nur knapp über der Nachweisgrenze.

Das Umweltministerium in Hannover bestätigt das weitgehend. Bei Untersuchungen der Kraftwerksabfälle auf Dioxin und ebenfalls wohl krebserregende Furane seien Werte „im einstelligen Nanogrammbereich“ festgestellt worden – eine Größenordnung, wie sie vom Umweltbundesamt als Hintergrundbelastung etwa für Äcker angegeben werde. Das Beteiligungsverfahren zur Erweiterung der Deponie sei abgeschlossen, sagte Ministeriumssprecherin Dunja Rose der taz. Alle erforderlichen Stellungnahmen lägen vor, nur ein Prüfvorgang zu einer Rechtsfrage stehe noch aus: „Danach wird abschließend entschieden.“

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