: Treck nach Westen
VON SOPHIE HAARHAUSUND KLAUS JANSEN
Die Abwanderung aus den ostdeutschen Bundesländern setzt sich fort. Im vergangenen Jahr zogen rund 146.400 Menschen laut einer neuen Erhebung des Bundesamts für Statistik von Ost nach West. Weil nur etwa 94.700 den umgekehrten Weg nahmen, verloren die ostdeutschen Länder im Jahr 2004 durch die innerdeutsche Migration fast 57.000 Einwohner. Seit der Wiedervereinigung vor fünfzehn Jahren haben rund 2,18 Millionen Ostdeutsche ihrer Heimat den Rücken gekehrt.
Obwohl im vergangenen Jahr etwas weniger Menschen von Ost nach West zogen, sehen die Statistiker den Trend nicht gestoppt. Der Rückgang im Vergleich zum Vorjahr habe demografische Ursachen, sagt Ralf Mai vom Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (BIB). Die absoluten Zahlen gingen aufgrund kleinerer Geburtenjahrgänge zurück.
Vor allem junge Menschen verlassen den Osten. Mehr als die Hälfte der Abwanderer ist zwischen 18 und 30 Jahre alt. Experten gehen davon aus, dass nicht nur minderqualifizierte Arbeitsuchende, sondern auch viele Hochqualifizierte in den Westen ziehen: „Es findet ein klassischer Braindrain statt. In Vorzeigebetrieben wie ECO Stahl in Eisenhüttenstadt sind schon jetzt in der Mehrzahl polnische Ingenieure beschäftigt“, sagt Beate Glöckner vom Institut für Regionalentwicklung und Strukturplanung (IRS). Zurück bleiben häufig die Schwachen: „Vielen fehlt die Mobilität“, so Glöckner.
Neben alten Menschen sind dies vor allem Familien: Im Vergleich zu den Neunzigerjahren wandern mittlerweile deutlich weniger Eltern mit Kindern ab. Dennoch wird das Durchschnittsalter im Osten Wissenschaftlern zufolge bis zum Jahr 2030 von 42,6 Jahre auf 49,7 Jahre ansteigen.
Die demografische Entwicklung ist es auch, die den für Aufbau Ost zuständigen Bundesverkehrsminister Manfred Stolpe (SPD) neben der Arbeitslosenquote von im Schnitt 20 Prozent „besonders besorgt“. Bei der gestrigen Vorstellung seines Jahresberichts zum Stand der deutschen Einheit bemühte Stolpe jedoch vor allem die Verdienste der Bundesregierung um den Aufbau Ost: Das verfügbare Einkommen der Ostdeutschen habe sich seit 1991 verdoppelt, die Infrastruktur gehöre zur modernsten der Welt. „Es ist ein neues, schönes Land entstanden, nicht nur eine Attrappe“, sagte Stolpe.
Mit bekannten Mitteln will der Minister die Abwanderung stoppen: Der Bund müsse verstärkt Kompetenzcluster und Wachstumskerne fördern, lautet Stolpes Einmaleins des Strukturwandels. Die Länder wiederum sollten die Mittel des Solidarpakts endlich gezielt für Investitionen und nicht für die Sanierung ihrer Haushalte ausgeben, forderte Stolpe.
Neben Wirtschaftsförderung empfiehlt Stolpe zum fünfzehnten Jahrestag der Einheit Kunst: Sein Ministerium will in einer Ausstellung Fotostrecken aus ostdeutschen Städten der Jahre 1990 und 2005 kontrastieren. Die gewünschte Wirkung: „Wir sollten uns angewöhnen, stolz zu sein.“