Boulevard der Besten: ErichRathfelder
Vor ziemlich genau 30 Jahren hat Erich Rathfelder als taz-Osteuroparedakteur begonnen, alle Regionen des ehemaligen Jugoslawien zu bereisen. Es war die Zeit des Umbruchs. Dissidenten fanden bei ihm in Berlin Aufnahme, er verfolgte das Geschehen mit großer Anteilnahme. Damals wusste er nicht, dass er nur wenige Jahre später Kriegskorrespondent werden würde. Aber Rathfelder nahm sich dem einstigen Jugoslawien an, als der Krieg losging, berichtete aus belagerten Städten wie Sarajevo, sprach mit Überlebenden aus Massakerorten wie Srebrenica, später auch aus dem Kosovo.
In diesem Monat wird Rathfelder 70. Vergangene Woche ist er mit dem Medienpreis der Südosteuropa-Gesellschaft ausgezeichnet worden – das war aber auch mal Zeit.
Erich Rathfelder ist erst mit 36 zur taz und damit zum Journalismus gekommen. Er war und ist ein durch und durch politischer Mensch – es ging ihm nie um Karriere, Posten, Geld. Immer um die Sache. Sowohl die deutsche als auch die osteuropäische Geschichte haben ihn zu einem überzeugten Antinationalisten gemacht. Jeder übersteigerte Patriotismus ist ihm ein Gräuel, und wer Nationalismus mit autoritärem Gehabe paart, hat Rathfelder garantiert zum Gegner.
Auch deshalb, weil er Journalismus nie als Selbstzweck, sondern immer politisch verstanden hat, ist Rathfelder streitbar. Als es in den 90er Jahren um westliche Militärinterventionen auf dem Balkan ging, vertrat er eine eindeutige Position: Er befürwortete Militäraktionen gegen die großserbischen Träume Milošević’. Die taz war darüber genauso gespalten wie ihre Leser_innenschaft und die Grünen. „Kriegstreiber“ war noch das Mildeste, was in Leser_innenbriefen stand.
Politisch ist Rathfelder bis heute. Der Aufstieg des autoritären Rechtspopulismus von Moskau bis Washington lässt ihm keine Ruhe, er sieht Europa unter Druck, befürchtet schlimme Folgen für seine Wahlheimat. Von seiner Redaktion fordert er Debatte und Nachdenken. Und wenn Erich etwas fordert, dann mit Verve.
Wenn sich Rathfelder zur Ruhe setzt, wird er ein großes Werk hinterlassen haben. Nicht nur Tausende von taz-Texten, auch seine Bücher über den Balkan bleiben. Aber so weit ist es noch lange nicht. Bernd Pickert
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