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Verschnupfte Foto-Forscher in Köln

Nachlass Wer verwaltet nun den Nachlass von August Sander? Die Kölner SK-Stiftung oder die global agierende Zürcher Galerie Hauser & Wirth?

von Markus Weckesser

Ein Raunen ging durch die Fotowelt, als die Galerie Hauser & Wirth unlängst vermeldete, dass sie in Kooperation mit der Kölner Galerie Julian Sander den Nachlass des Fotografen August Sander vertreten werde.

Die Zürcher Galerie mit Ablegern in London, Somerset, New York und Los Angeles zählt international zu den mächtigsten und einflussreichsten Kunsthändlern. Da Hauser & Wirth vor allem auf konzeptuell und seriell arbeitende Künstler spezialisiert ist, passt das Werk des Kölner Fotografen hervorragend zum Portfolio.

August Sander (1876 bis 1964) wurde durch seine typologischen Porträts von Menschen unterschiedlicher Gesellschaftsschichten und Berufsgruppen zum Vorbild für zahlreiche Generationen von Fotografen. Nur wenige Tage nach der Ankündigung, die Repräsentanz Sanders zu übernehmen, eröffnete in der New Yorker Dependance der Galerie eine Gruppenausstellung mit seriellen Arbeiten von Künstlern wie Sophie Calle, Isa Genzken, Sol LeWitt und Paul McCarthy, in deren Zentrum ein Portfolio von August Sander steht. Bereits beim Nachlass von Lee Lozano bewies Hauser & Wirth, dass sie nicht nur lebende Künstler auf den Kunstmarkt zu platzieren vermag, sondern auch posthum.

Die Bekanntheit des Künstlers wird steigen

Die Preise für Bilder von August Sander werden nun wohl enorm steigen, aber eben auch seine Bekanntheit wird durch die Arbeit der exzellenten Galerie gewiss nachhaltig befördert. Etwa Besseres ist einem Künstler eigentlich nicht zu wünschen.

Der Meinung ist auch Gabriele Conrath-Scholl, die Leiterin der Photographischen Sammlung der SK Stiftung Kultur in Köln. Dennoch äußerte das Haus sein „Unverständnis“ über die Pressemitteilung von Hauser & Wirth. Schließlich erwarb die Stiftung 1992 „sämtliche am Werk von August Sander bestehenden Nutzungsrechte und zwar örtlich, inhaltlich und zeitlich unbeschränkt“. Zum als Nachlass bezeichneten Konvolut, das Sanders Enkel Gerd veräußerte, gehören 10.700 originale Negative, circa 3.500 Vintage-Prints, die originale Korrespondenz, die Privatbibliothek sowie Mobiliar und Teile der fotografischen Ausrüstung. Der Nachlass liege somit weiterhin in Köln, erklärte die Stiftung.

Daraufhin stellte Hauser & Wirth dem Begriff „Estate“ (Nachlass) das Präfix „Family“ voran. Denn die zum Verkauf bestimmten Bilder stammen aus dem Besitz von Julian Sander, dem Urenkel des Künstlers. Wenngleich Gabriele Conrath-Scholl versichert, dass es keinen Streit gäbe, sondern jetzt nur zwei Ansprechpartner, ist ein Zerwürfnis nicht zu leugnen.

Vereinbarung über die Produktion von Neuabzügen

Während Hauser & Wirth jegliche Stellungnahme verweigert, leistet Julian Sander der Konfusion weiter Vorschub, indem er auf Facebook behauptet, dass es einen Nachlass im juristischen Sinne überhaupt nicht gibt.

Auf eine Anfrage dieser Zeitung zum Nachlass von August Sander wollte der Galerist nicht antworten, weil Journalisten seine Worte falsch wiedergegeben hätten. Man arbeite an einer gemeinsamen Presseerklärung, auf welche anfragende Pressevertreter nun bitte warten sollen.

Wenn es aber gar keinen Nachlass gibt oder der Nachlass in Köln liegt, was wird dann überhaupt zum Verkauf angeboten? Gabriele Conrath-Scholl sagt, dass im Kaufvertrag über den Nachlass die Produktion von Neuabzügen vereinbart worden sei.

Zwischen 1992 und 1999 entstanden in der SK Stiftung Modern Prints, an denen neben Susanne Lange und Gabriele Conrath-Scholl vom Haus auch Gerd Sander mitwirkte. Genau genommen ist von einer Neuinterpretation zu sprechen, da der Künstler selber nicht an der Herstellung beteiligt war. Über den Umfang der Abzüge ist jedenfalls auch von der Stiftung nichts zu erfahren.

Der SK Stiftung vorzuwerfen,sie habe das Œuvre August Sanders nicht angemessen vertreten, entbehrt jeder Grundlage

Sicher ist jedoch, dass aus diesem Bestand jene 619 Bilder des berühmten und vielfach publizierten Mappenwerks „Menschen des 20. Jahrhunderts“ stammen, die das New Yorker Museum of Modern Art 2015 kaufte. Um die Neuerwerbung gebührend zu würdigen und dem Forschungsauftrag des Hauses nachzukommen, startete das MoMA das auf fünf Jahre angelegte „The August Sander Project“. Führende Kunsthistoriker, Kuratoren, Künstler und Wissenschaftler nähern sich dem Werk, indem sie sich jeweils einer anderen der sieben Mappen widmen.

Darunter war 2016 auch die Bildgruppe „Menschen, die an meine Tür kamen“, deren Existenz erst durch die Forschung der SK Stiftung bekannt wurde. Eingeladen wurden die Kölner Wissenschaftlerinnen übrigens nicht. Hingegen wird die zuvor vom MoMA quasi geadelte Mappe nun in der aktuellen Ausstellung „Serialities“ bei Hauser & Wirth zum Verkauf angeboten. Auf die Frage, ob die Galerie am Museumsprojekt beteiligt sei, erhielt unsere Zeitung ebenfalls keine Antwort.

Die Stiftung in Köln erfuhr nur aus zweiter Hand davon

Von all den Ereignissen erfuhr die SK Stiftung nur aus zweiter Hand. Weder wurde vorab das Gespräch mit den Kölnern gesucht, noch fand deren wissenschaftliche Vorarbeit Erwähnung. Seit 1992 organisierte die Stiftung an die 100 Ausstellungen zum Werk von August Sander und veröffentlichte zahlreiche Publikationen.

Es ist unbestritten, dass eine Galerie wie Hauser & Wirth finanziell andere Möglichkeiten besitzt als die kleine Kölner Stiftung. Der SK Stiftung jedoch vorzuwerfen, sie habe das ­Œuvre August Sanders nicht angemessen vertreten, entbehrt jeder Grundlage. Es ist einfach unfair. Bereits 2015 gründeten Gerd und Julian Sander die August Sander Stiftung, die nahezu die gleichen Ziele wie das von der SK Stiftung betreute August Sander Archiv verfolgt. Verständlich, dass die Kölner Mitarbeiter verschnupft sind. Nun liegt die Nachlassgeschichte bei den Anwälten.

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