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Klare Mehrheit für Brexit-Gesetz

Grossbritannien 494 der 650 Abgeordneten stimmen für die Einleitung des EU-Austritts. Alle Änderungsanträge scheitern. Das schwächt Labour-Oppositionschef Jeremy Corbyn

von Ralf Sotscheck

DUBLIN taz | Das britische Unterhaus hat am späten Mittwochabend dem Brexit-Gesetz in dritter und letzter Lesung mit großer Mehrheit zugestimmt. Das Gesetz, das die Regierung von Premierministerin Theresa May dazu ermächtigt, die Austrittsverhandlungen mit der EU zu beginnen, wurde mit 494 gegen 122 Stimmen abgesegnet. Brexit-Minister David Davis sagte: „Wir haben heute eine historische Abstimmung erlebt.“ Er freue sich auf die Verhandlungen mit der EU über eine „starke, neue Partnerschaft“. Nigel Farage, der frühere Chef der rechtspopulistischen United Kingdom Independence Party (Ukip), jubelte: „Ich hätte nie geglaubt, dass ich den Tag erlebe, an dem das Unterhaus mit überwältigender Mehrheit für Großbritanniens Austritt aus der EU stimmt.“

Das Oberste Gericht hatte im Januar einen Alleingang der Regierung gestoppt und die Zustimmung des Parlaments verlangt, bevor Premierministerin May gemäß der Volksabstimmung vom Juni 2016 den Austritt aus der EU einleitet. Die Regierung hatte zuvor eingewilligt, dass beide Parlamentskammern am Ende der Austrittsverhandlungen über das Ergebnis abstimmen dürfen, und dem Parlament ein Weißbuch über die angestrebte „neue Partnerschaft mit der EU“ vorgelegt.

Versuche im Parlament, der Regierung noch weitere Konzessionen abzuringen, scheiterten. Ein Änderungsantrag, wonach die Wähler nach Abschluss der Austrittsverhandlungen in einem zweiten Referendum über die Annahme des Ergebnisses entscheiden dürfen, erhielt am Mittwoch nur 33 Stimmen.

Auch andere Änderungsanträge wurden allesamt abgeschmettert: so, dass Großbritannien kein Steuerparadies werden soll oder dass Arbeitnehmerrechte und bestehende Rechte der EU-Bürger gewahrt werden. Vor allem Letzteres will Premierministerin May als Verhandlungsmasse bei den Gesprächen mit der EU in der Hinterhand behalten. Die Grünen-Chefin Caroline Lucas kritisierte: „Wir sprechen hier über das Leben von Menschen, und das kann nicht als Teil irgendeines Deals verhandelt werden.“

Viele Änderungswünsche kamen von der Labour-Opposition. Aber dem Labour-Parteichef Jeremy Corbyn hat die Abstimmung neue Probleme beschert. Er hatte einen Fraktionszwang verhängt, wonach seine Parlamentarier für das Brexit-Gesetz stimmen müssen – und 52 Labour-Abgeordnete ignorierten das. Einer davon war ein enger Vertrauter Corbyns: Clive Lewis, im Labour-Schattenkabinett für Energie und Unternehmen zuständig. Er trat aus Protest zurück, weil der Brexit „schlecht für die Menschen“ in seinem Wahlkreis Norwich South sei. Lewis hatte bei der zweiten Lesung des Brexit-Gesetzes noch dafür gestimmt, aber gleichzeitig erklärt, dass er das ohne Änderungen bei der dritten Lesung nicht tun werde.

„Ich hätte nie gedacht, dass ich den Tag erlebe“

UKIP-Exchef Nigel Farage

Die Medien spekulieren nun, dass Lewis für die Parteiführung kandidieren könnte. Bei den Buchmachern gilt er plötzlich als Favorit für die Corbyn-Nachfolge. „Komisch, dass keine der Frauen, die aus dem Schattenkabinett ausgetreten sind, für die Parteiführung gehandelt werden“, twitterte die Labour-Abgeordnete Jess Phillips empört. Vorige Woche waren die Schattenministerinnen Rachael Maskell, Jo Stevens und Dawn Butler alle aus Protest gegen den Fraktionszwang zurückgetreten.

Corbyn war 2015 nach der verheerenden Labour-Niederlage bei den Parlamentswahlen überraschend von der Basis zum Parteichef gewählt worden. Die Fraktion war von Anfang an gegen ihn. 2016 wurde er nach einem parteiinternen Putschversuch im Amt bestätigt. Allerdings verlor er seine Mehrheit im Parteivorstand. Da dieses Gremium auch über die Modalitäten zur Wahl des Parteichefs entscheidet, ist damit der Boden für einen erneuten Absetzungsversuch bereitet.

Kurzfristig steht die nächste Hürde für das Brexit-Gesetz im Oberhaus an. Im nichtgewählten House of Lords haben die regierenden Konservativen keine Mehrheit. Brexit-Hardliner haben allerdings gedroht, die Abschaffung der Kammer einzuleiten, sollte das Brexit-Gesetz dort blockiert werden.

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