Ein wenig Neid auf die weite Welt

Porträt Massiv und bescheiden zugleich, das macht die Präsenz des Schauspielers Markus John aus, der in Köln und Hamburg Theater spielt

Markus John kennt seine Figuren so gut, dass er sekundenschnell zwischen ihnen wechseln kann Foto: Sandra Then

von Dorothea Marcus

Auf der schmalen Bühne des freien Bauturm-Theaters in Köln sitzt Markus John an einem Tisch mit Spiegel, Haarteilen, Ohrringen. Gerade war er noch Jussuf, der schüchterne Museumswärter, der bei seiner Mutter lebt und dem die Kunst so tief in den Bauch fährt. Jetzt macht er sein Haar locker, klebt Schnurrbart an, zieht Lederjacke übers Hemd, Stimme tiefer, Haltung breiter.

Auf fast unheimliche Weise ist er plötzlich „e kölsche Jung“: der frühere Zuhälter Foxi schwärmt vom Nachtleben damals in Köln mit „seiner Reizung“. Als die Schlägereien noch ehrlich waren, er in der Woche 60.000 DM durchbrachte und manche „Kleine“ für ihn lief, bis er dann „auf Kur“ kam in den Knast. „War ja so“, brummt er, „Nee, klar, ne“.

Dann sitzt Markus John an diesem Soloabend, der auch ein Einblick in eine Schauspielerwerkstatt ist, wieder am Tisch, legt die Bärte ab, kämmt das Haar akkurat zurück, steckt zwei Ohrringe an, legt Schal um – und aus ihm kommt die wohlsituierte, leicht indigniert-erschöpft blickende Hausfrau Edeltraud, die sich „hochgewurschtelt“ hat in die feine Gesellschaft, bis ihr Mann Parkinson bekam und sie ihn in den Edelrestaurants eigenhändig fütterte.

Das Staubkörnchen Mensch

Ganz normale Menschen sind es, in die Markus John in „Foxi, Jussuf, Edeltraud“ sich verwandelt. Und doch hält jeder ein Schicksal von theatraler Wucht bereit: für Jussuf das Schwulsein, das er seiner Mutter nur schwer sagen konnte. Wie er sie einmal schlagen musste. Für Foxi der Sohn, den er seit 30 Jahren nicht gesehen hat. Für Edeltraud die eigene Krankheit, die kam, als sie sich fertiggeopfert hatte für ihren Mann.

Jeden der Charaktere bringt John irgendwann an diesem Abend zum Weinen, das fährt tief unter die Haut. Was ist ein Leben, wo kann man eingreifen und es dem Unglück und der Banalität entreißen?

Im Einzelnen steckt das Ganze, im Staubkörnchen Mensch die ganze Welt. Mit dieser poetischen Annahme hatte einst der lettische Regisseur Alvis Hermanis 2009 seine „Kölner Affäre“ angelegt, die zwischen Doku, Fiktion und Selbsterfahrung schillerte.

Markus John begleitete damals Foxi, Taxifahrer aus Bergisch-Gladbach, und zeichnete seine Halbweltgeschichten auf. Auf keinen Fall Künstler sollten die zufälligen „Prototypen“ sein, vorher nicht bekannt, nicht verheiratet – und eine gegenseitige Sympathie sollte entstehen. Obwohl er damals skeptisch war, wurde das „eine der erfüllendsten Sachen, die ich je gemacht habe“, erzählt John im Café. „Der Schauspieler ist da der Magier, der aus dem Alltag etwas Besonderes macht.“

So besonders, dass er sie auf eigene Faust weiterentwickelt hat – und noch Jussuf und Edeltraud suchte, stundenlang mit ihnen sprach, die Gespräche transkribierte, ihre Essenz erforschte und sie sich derartig liebevoll und bodenständig, lustig und tieftraurig bis zur letzten Silbe einverleibte, dass er in Sekundenschnelle vor unseren Augen ein anderer wird.

Seit Jahren ist der Abend erfolgreich. In das Theater im Bauturm sind viele zum dritten Mal gekommen. Selbst in Hamburg waren sie begeistert, auch wenn sie da nicht ganz nachvollziehen können, wie es für Edeltraud ist, wenn ihr Mann zu Weiberfastnacht ins Büro geht und sich dann vielleicht Sekretärinnen auf seinen Schoß setzen. Johns Gesicht fasst an dieser Stelle alles zusammen, was Edeltraud fühlt: Misstrauen, distanziertes Erstaunen ob der Kölschen Karnevalsabsurdität, ein wenig Neid auf die große weite Welt im Büro.

Ein Kumpeltyp ist Markus John, nicht nur wegen des Ruhrgebieteinschlags in der Sprache. Ein Familienmensch, vier Töchter hat er mit der Schauspielerin Uta Hennig, auch wenn er auf Familienfeste wegen seines Jobs meist nicht gehen kann. Bullig und liebevoll wirkt er, ohne Abgründe auszusparen.

Was ist ein Leben? Wie kann man es dem Unglück und der Banalität entreißen?

Zwielichtig-rustikal

Das ist auch der Kern des „Ödipus“, für den er 2013 den Rolf-Mares-Preis erhielt: Er machte das Schicksal des unfreiwilligen Sünders nicht zur politischen Parabel, sondern verlegte es in sich selbst, war traumatisierter, verwahrloster Schmerzensmann, ein Foxi, der es nicht geschafft hat: barfuß, fettige Haare, enge Trainingsjacke, zittrig.

Geboren wurde John im Jahr 1962 in Duisburg, als Kind einer Kaufmannsfamilie, fünf Geschwister hat er – keiner außer ihm ist Künstler geworden. Auch bei ihm war es eher Zufall. Neben seinem Studium der Theaterwissenschaften ging er zu einer privaten Schauspielschule in München. Erst als er in Pforzheim engagiert war, bezeichnete er sich fast ungläubig selbst als Schauspieler. „Der Vorteil ist, wenn man so klein anfängt, da gibt’s noch Spielraum nach oben“, sagt er verschmitzt.

Sechzehn Jahre lang hat er in Köln gespielt, ist so verwoben mit der Stadt, dass ihn der Künstler Merlin Bauer in Feinrippunterhose neben dem Logo „Liebe deine Stadt“ über der sechsspurigen Nord-Süd-Fahrt verewigt hat – er passt gut neben den leuchtenden Satz an der hässlichsten Stelle Kölns. Dabei ist John seit 2009 am Hamburger Schauspielhaus engagiert, spielte am Deutschen Theater und Berliner Ensemble, arbeitete mit den größten Regisseuren.

Gerne besetzt man ihn als zwielichtig-rustikalen Verlierertypen, oft auch in Fernsehkrimis. Das verdeckt ein wenig, dass er sich für seine Rollen literarisch tiefgehend vorbereitet, lange alles dazu liest, was er schaffen kann. Auf der Bühne spürt man ohnehin am besten seine Präsenz, massiv und bescheiden zugleich, aber vor allem merkt man, dass er eine Figur nie denunziert, ihr stets mit tiefer Empathie begegnet. Oder mit, wie Jussuf sagt: „Liebe, Liebe, Liebe, Liebe is was ganz anderes. Das kannse gar nicht beschreiben.“