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Spät entdeckte Randale in der Fressgass

Gewalt Gab es Silvester in Frankfurt/Main einen „Sexmob“? Hauptzeuge ist ein AfD-Sympathisant

FRANKFURT/MAIN taz | Von einer ruhigen und weitgehend friedlichen Silvesternacht hatte die Frankfurter Polizei am 2. Januar berichtet. Das Sicherheitskonzept – 600 Beamte waren im Einsatz – sei aufgegangen. Nur wenige Strafanzeigen seien diesmal eingegangen, darunter lediglich eine wegen sexueller Belästigung; im Vorjahr waren es noch 23 gewesen. Jetzt allerdings, fünf Wochen danach, zeichnen Medienberichte ein ganz anderes Bild der Silvesternacht: „Sexmob tobte in Frankfurts Restaurantmeile“ titelte die Bild-Zeitung zum Wochenanfang. Seitdem sind Ereignisse dieser Nacht, die sich in der Frankfurter „Fressgass“ zugespielt haben sollen, in allen Medien ein Thema.

Im Mittelpunkt stehen Vorfälle, die sich in und vor der Café-Bar First In ereignet haben sollen. Dort, so Zeugin „Irina A, 27,“ sei sie sexuell belästigt worden: „Sie fassten mir unter den Rock.“ „Massen von Migranten“ arabischer Herkunft hätten Gäste und vor allem Frauen belästigt, Jacken gestohlen und randaliert, berichtete Bild. Als Hauptbelastungszeuge gilt First-In Geschäftsführer Jan Mai.

Auch im Gespräch mit der taz widerspricht er der Polizeidarstellung von einer ruhigen Silvesternacht energisch. 30 junge Männer hätten in seiner Bar Ärger gemacht, 30 weitere hätten sich vor der Tür aufgehalten. „Sie haben Gäste angepöbelt, Leute geschubst und Jacken geklaut.“ Schließlich habe er die jungen Männer rauswerfen müssen, um endlich Ordnung zu schaffen; „Sie haben Arabisch gesprochen, waren aber keine Marokkaner, sagt mein aus Marokko stammender Barkeeper,“ berichtet Mai. Auf die Frage der taz, warum er damals die Polizei nicht informiert habe, gibt er nicht wirklich eine Antwort. Mai redet von einem leeren Akku und weist darauf hin, dass er nicht den ganzen Abend zugegen gewesen sei. „Ich habe die Sache ja selbst regeln können“, so Mai. Polizeisprecherin Isabell Neumann bestätigt, dass erst jetzt, Wochen später, entsprechende Anzeigen eingegangen seien; man gehe den Vorwürfen nach.

Die taz wollte vom First-In Geschäftsführer deshalb noch wissen, ob es Vorfälle in anderen Bars und Restaurants gegeben habe: „In der Victory-Bar, keine hundert Meter entfernt, hat’s richtig geknallt“, sagt Mai. Das jedenfalls trifft zu. Davon weiß auch die Polizei. Der Betriebsleiter der Victory-Bar, Thomas Afeworki, leidet noch heute an den Verletzungen, die ihm randalierende Gäste in der Silvesternacht zugefügt haben: „Echt Katastrophe“, sagt er zu den Ereignissen und schildert den „Barbesuch“ von einem halben Dutzend Männern. „Einer von denen ist mit unserem Barmann aneinander geraten und wurde geschlagen. Als wir ihm zu Hilfe kommen wollten, sind wir auf der Treppe überrannt worden.“ Bewusstlos hätten sie ihn geschlagen, mit Schnittverletzungen sei er aufgewacht, sagt Afeworki, der noch immer in ärztlicher Behandlung ist. Zu diesem Zwischenfall war die Polizei gerufen worden und mit mehreren Einsatzwagen vor Ort. Sie konnte die Personalien der Beschuldigten feststellen. Es handelt sich allerdings nicht um Araber sondern um einen Deutschen und einen Osteuropäer.

Ungeachtet der dürftigen Faktenlage zitierte die Bild-Zeitung am Mittwoch bereits führende Stadtpolitiker zu dem angeblichen „Sexmob“ auf der Fressgass. Oberbürgermeister Peter Feldmann bekennt sich da zu „Nulltoleranz gegenüber jedweden Übergriffen“, der ehemalige Ordnungsdezernent Volker Stein, FDP, vermutet gar einen „Vertuschungsversuch“.

First-In Geschäftsführer Jan Mai soll jetzt zur nächsten Sitzung des Sicherheitsausschusses des Frankfurter Stadtparlaments eingeladen werden. Er wird seine Vorwürfe dort sicher gerne wiederholen, denn er ist es gewöhnt, Position zu beziehen. Zu den Ergebnissen der Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus postete er am 18. September letzten Jahres auf Facebook: „Weiter so AfD … ich freue mich schon auf die Bundestagswahl.“ Christoph Schmidt-Lunau

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